Einer der Bauarbeiter schüttelte mit sehr ernster Mine den Kopf: Nein, es sei unmöglich – sooo tiefe Löcher weiter unten auf dem Waldweg. Und er deute es mit der Hand an: Wesentlich tiefer als der Durchmesser der Räder unseres Twingos…
Aber der Reihe nach.
Wir hatten gestern Abend ja dieses Motel südlich von Blagoevgrad gefunden, gepaart mit Citroen- und Toyota-Vertretung. Familienbetrieb.
Mutter und (Schwieger?-) Tochter machen Bar, Küche, Bedienung. Das Frühstück war überreichlich, die Spiegeleier mehr als fett, ham and bacon entpuppten sich als angebratene Dosenwurst. Dem Abräumfimmel der ansonsten ganz rührend-lieben Dame fiel meine morgendliche Medizin zum Opfer; ich hatte sie auf der Untertasse deponiert, während ich auf den zweiten Tee zum Schlucken wartete…
Un dann fuhren wir los. Lis‘ Batterien für die Canon waren alle. In Simitli, dem nächsten Ort, irrten wir von Laden zu Laden bis zuletzt einer doch noch drei Viererpacks hatte. Die sind jetzt unser und verbraucht. Denn jetzt fuhren wir in die Berge, Bulgariens Skiparadies Nummer eins. Unterwegs ist die schöne Landschaft vollgepflastert mit Riesenplakaten (wer erinnert sich noch an den spanischen Osborne-Stier?), denen nach man Golf spielen, ein Apartement kaufen, mit der treu aber aufreizend dreinschauenden schwarzen Schönheit den Abend geniessen oder sonst was soll – Konsumrausch im armen Bulgarien. Die Strasse nach Razlog ist EU-finanziert. Wovon natürlich die Landbevölkerung jeden nur erdenklichen Vorteil hat. Der Reiseführer weist auf Wiedergeburtshäuser hin. Der Ort ist so touristisch vollgestopft – wir fliehen. Denn Prachtexemplare dieses wundervollen Haustyps hatten wir vor zwei Jahren in Plovdiv eigentlich schon ausreichend bestaunt. Die weitere Strasse Richtung Drama/Griechenland ist übrigens nicht mehr so doll; von dort kommen vermutlich auch keine skibegeisterten Golfspieler…
In die Berge also.
Lis wollte schon immer über die Rhodopen nach Griechenland. Dort gibt’s Naturschönheiten – welche, wussten wir nicht – bis sie vor uns aufragten.
Eine beeindruckende Landschaft. Gefiel uns ungemein. Und so entschlossen wir uns, weiter zu fahren, denn auch diese Strasse führt zu den türkischen Dörfern der Pomaken, einer aussterbenden europäischen Minderheit. Tabak gibt’s massenhaft und auch die erste Moschee.
Und was in so herrlicher Landschaft begann endete fast im totalen Grauen, Chaos, der Vernichtung aller Hoffnung und unseres Twingo.
Und da wären wir wieder bei unserem eingangs erwähnten Bauarbeiter. Das Strässlein wurde wie die Landschaft immer wilder, die Schlaglöcher immer häufiger und tiefer, unsere Angst, aufzusitzen immer stärker und begründeter. An Fotografieren war mittlerweile nicht mehr zu denken. Die Nerven lagen blank.
Bis wir an die Stelle kamen, wo die Bauarbeiter dabei waren, neben dem Weg ein dickes Rohr in die Erde zu versenken. Diese Arbeiten hatten dem Weg vollständig den Rest gegeben – er war kein solcher mehr: Löcher und Wellen, Felsbrocken – es schien wirklich zu Ende hier. Meinte ja auch besagter Arbeiter. Das hätte bedeutet, kilometer- und stundenlang rückwärts durch alle bereits gemeisterten Fallen den Berg wieder hoch zu fahren, wenden unmöglich.
Wir haben beschlossen, weiter zu »fahren«, zu fallen, zu knirschen, Steine und Brocken wegzuwuchten: Lis vorneweg zu Fuss, mich dirigierend wo die Angst mir keinen Spielraum mehr liess. Irgendwann knallte sie der Länge nach hin; der Fuss ist verbunden, Lis ruht derzeit… Aber zunächst war an Ruhe nicht zu denken. Und weiter unten haben uns dann zwei weitere Arbeiter Mut gemacht, als mal wieder nichts mehr ging: Winkend, mit dem Hammer Felsteile weghämmend und mir und dem Twingo so den Weg »ebnend« haben wir diesen schwierigsten Teil gemeistert.
Irgendwann landeten wir…
…holpernd, mit ruinierten Nerven aber offenbar heilem Twingo im Zieldorf KovaÄevica.
Ein Dorf zum Verlieben. Alte Steinhäuser mit türkischem touch, enge Gassen, einer Kneipe – und einem Hotel mit Internet! Nur: Die nehmen nur cash und unser Geld reicht nicht. Also weiter. Und so fanden wir auf den ersten Schlag dieses vortreffliche Hotel in Gotse Delchev (auch hier). Mit grossem Schwimmbecken. Und Internet. Für 45 Leva. Und da bleiben wir einen weiteren Tag. Da werden dann die ausstehenden Berichte fertig…
Reisestatistik
Tagesleistung: 140km 06:15h 03:24h 96,1km/h 26,7km/h 16,2km/h
GPS Track Logs 2008-09-02 Blagoevgrad-Gotse Delchev.kml
Mittwoch, 3. September 2008, 10:00 (Reinard) :: Nachtrag: Das war, das sei noch angemerkt, nicht unser erster hard core outdoor trip: Etwas ähnliches widerfuhr uns vor zwei Jahren auf dem Weg nach Deutsch Mokra.
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Hoffentlich geht’s wieder mit dem Fuß, Lis !
Gute Fahrt Günther