* Rund Europa 2011, 2. Tag: Nerantza – Etoliko

Mittwoch, 31.08.2011:: Donnerstag, 01.09.2011, 21:45:26 :: Metsovo
Samstag, 03.09.2011, 17:16:15 :: Pogradec, Hotel »1 Maji«

Mal wieder ein super Sonnenaufgang…

…und das über dem Golf von Korinth. Schwimmen im ruhigen Wasser des Golf, das freilich einen geringfügig trüber Eindruck macht. Und es gab ein Frühstück. Was also fehlt?

Nichts.

Am Nebentisch sitzt eine dauerrauchende Blondine mit einem iPad in barbie-rosa Schutzhülle, das erste iPad, das ich (ausser unserem) auf unserer Reise sehe. Das Omlette war angebrannt und umschloss alte pommes frites von gestern Abend. Meins war versalzen. Aber das Teewasser war heiss. Und das Internet funktioniert im Freien unter dem Sonnendach, für das die Sonne noch zu tief oder sonstwie falsch steht; jedenfalls heizt sie mich schon am frühen Morgen auf. Hätte ich mich an die gegenüberliegende Tischseite gesetzt…

Die Blondine schneidet bei unserer Abfahrt die armen kleinen Büschlein im Vorgarten, während ihr Kumpel im grauen muscle shirt, ebenfalls rauchend, ein paar Blätter mit einem Laub-Anti-Staubsauger verjagt.

Es ist also alles in Ordnung und wir fahren los. Richtung Rio mit seiner Brücke.

Eine verlorene Region

Wie schon am Tag zuvor treffen wir auf eine eigentlich tote Küstenregion: Trotz des Autoverkehrs, trotz der wie auf der Schnur aufgereiten Orten (die Ortsende- und Anfangsschilder stehen meist nur 20 bis 100 Meter auseinander) mit ihrem Kleingewerbe: Es wirk alles lustlos grau, verbogen, leer, geschlossen, halbfertig. Die Autobahn, ebenfalls unfertig, hat sich parallel zur Küste durchgefressen, hat Strukturen zerstört, die Bahnlinie wurde aufgelöst, teilweise zur Strasse umgewidmet, meist aber lungern deren Reste in der Landschaft herum: Abgebaute und gestapelte Gleise, versandete Gleise, Unmengen funktionsloser Bahnübergänge, Warnlichter, Schranken – und eben die Bahnhöfe, verfallen und orientierungs- und nutzlos. Zurück gebaut wir hier nur, was sich nicht vermeiden lässt.

 

 

Fahrt durch die Realität

Eine Infrastruktur ohne Funktion, hässlich, trostlos. Und Besserung ist wohl grossräumig nicht in Sicht. Wie auch, wenn alles nur durchrast. Nur im Kleinen, hier und da…

…da gibt es auch Ausnahmen. In Egio finden wir, nach dem wir uns gegen die massiven Intentionen der Verkehrslenker an den Strand durchgewurstelt haben, ein Café – fast direkt am Wasser. Typisch griechisch? Del Mar heisst der »CAFÉ CLUB«. Es ist in jeder Hinsicht untypisch, passt nicht hier her. Aber es stimmt alles…

Sogar die ehemalige Eisenbahnlinie ist malerisch integriert.

Rio, die Festung…

 

…die Fähren. Und die Brücke natürlich. Wir kommen so gegen halb zwei am Nachmittag ans Ende des Golfes. Eine in mancher Hinsicht interessante Stelle, das »Gibraltar Griechenlands« sozusagen. Durch diese Meerenge musste man, wenn man per Schiff auf die Peloponnes oder nach Korinth wollte und seit Ende des 19. Jahrhunderts auch gerne weiter nach Athen. Der Kanal von Korinth wurde 1893 fertig und ersparte die Umrundung der Peloponnes. Da spielten die Befestigungen schon keine Rolle mehr. In den Jahrhunderten davor jedoch schon. Entsprechend befestigt waren die Ufer: Rio und Andirrio auf der Festlandseite ragen noch heute mit ihren gut erhaltenen Festungsmauern in die Meerenge, die heute in ein paar Minuten auf der gigantischen Brücke überquert wird. Nafpaktos, ein paar Kilometer weiter von Andirrio gelegen, hat noch heute seinen seinen (mittlerweile nur noch schnuggeligen) befestigten Hafen. Erinnert sei vor allem auch an die Seeschlacht von Lepanto.

Wie gesagt: Heute kann man die Brücke benutzen. Wir haben das einmal gemacht, bei allen anderen Gelegenheiten aber immer die Fähren benutzt; erstens sollen die Schiffer unser Geld bekommen und ausserdem bietet die Überfahrt einen viel besseren Blick auf Bucht und Festungen. Die Überfahrt liefert anschaulich den Grössenvergleich: 164 m die Höhe der Pfeiler, vielleicht 6 – 8 m die der Festungsmauern.

Besichtigung gescheitert

Zuvor wollten wir allerdings endlich mal die Festung von Rio besichtigen. Herumstehende Arbeiter bedeuteten uns, dass jetzt geschlossen sei. Was wir noch verstanden, dass um 15 Uhr wieder geöffnet würde, das war falsch: Sie gingen alle um 15 Uhr. Und wir eben notgedrungen auch, auf die Fähre, die – kaum voll – dann auch bald losfuhr und uns imposante Blicke ermöglichte. Wichtig dabei: Man muss dazu aber die golfseitige Fähre nehmen.

Festung von Andirrio, kurz vor Ankunft

Waldbrände, alle Jahre wieder

Schon in Naxos war Dimitri am Boden zerstört als im Fernsehen die Nachricht kam, dass es um Mesolongi und Etoliko brannte. Untätig, ohne Chance auf ein Schiffsticket, sass er da und starrte auf die Bilder. Würde es seine Olivengärten erwischen, 700 Bäume, die Existenzgrundlage der ganzen Familie?

Es traf andere. Als wir von Andirrio nach Mesolongi

…fahren sehen wir die Hänge, schwarz verkohlt. Bis an die Strasse heran stehen grösstenteils nur noch Baumgerippe, schwarz. Aber Etoliko blieb (diesmal?) verschont. Man begreift durch einfaches Hinsehen: Eine Zigarettenkippe genügt, der starke Wind erledigt den Rest.

Abends erzählt uns Dimitri u.a., dass die Polizei einen Zündler erwischt hat. Er hatte Gaskartuschen in grösserer Zahl bei sich. Bei der Vernehmung meinte er angeblich, Feuer würde im Freude bereiten. Dass es nun ausgerechnet ein Albaner war, mag die Vorurteile vieler Griechen zwar bestärken und ihre Wut bis hin zum Verprügeln des vermuteten Täters antreiben. Andererseits werden Albaner vielfach als verlässliche und fleissige Arbeiter geschätzt; da zu teuer, werden aber mittlerweile vor allem Rumänen und zuweilen Bulgaren für die Hälfte des »Albanerlohns« als Erntehelfer angeheuert. Über die wiederum wird dann aus anderem Grund geschimpft: Sie saufen zu viel, eher ständig… So hilft jeder Mensch sich eben anders, um über seine Probleme hinweg zu kommen. Aber ob nun Waldbrände entfachen eine typisch albanische Art der Rache ist, das zu entscheiden überlassen wir den Stammtischen, die es natürlich auch in einer griechischen Variante gibt. Davon später.

Regen!…

Zunächst kommt Wind auf, als wir beim eleniko metrio, einem tatsächlich nur halbsüssen griechischen Kaffee gegenüber des Hotels am Wasser sitzen. Wolken werden aufgetrieben und irgendwann erhellt Wetterleuchten den nachsonnenuntergänglichen Abendhimmel. Ich halte nun gar nichts von Lis‘ Ahnung, es käme zum Gewitter und zum Regnen.

Wir haben uns gerade bei Dimitris Mutter vor der Haustüre niedergelassen, nachdem Dimitri noch extra Stühle aus der Abseite hergeholt hat – da fällt der erste Tropfen auf Lis. Aufschrei! Regen! Wir lassen alles stehen und liegen, Mama wird’s richten und machen uns auf zur Taverne. Kaum drinnen, da pratzelt es los, der Donner folgt dem Blitz: Der erste Regen dieses Sommer-Herbsts in Etoliko prasselt in die Gassen. Es wird schnell gemütlich dämpfig, die Gespräche haben ihr Thema gefunden. Da passiert’s.

…und Totalausfall

Das Licht erlischt. Nicht nur in der Kneipe, auch draussen. Ganz Etoliko ist ohne Strom, flächendeckend. Und nur die zuweilen durchfahrenden Autos zeigen für kurze Momente, wer oder was gerade wo ist. Segensreich: Das Mobiltelefon als Taschenlampe. Und so stehen bald auf jedem Tisch zwei, drei Teelichter, bei uns auch eine kleine Kerzenlaterne. Was sein Gutes hat, wenn man aufs Klo muss. Wilhelm Busch grüsst aus der Ferne.

Irgendwann steht dann auch eine helle Petroleumlampe auf dem hohen Kühlschrank. Gekocht wird mit Gas, das Essen kommt auch bald und wir verzehren es ohne es gross zu sehen. Also wird’s jetzt gemütlich, keiner will jetzt raus und die Gespräche laufen. Das meiste verstehen wir ja nicht, aber die griechische Krise ist dabei, der Regen natürlich samt Stromausfall und daran geknüpft die eine oder andere Anekdote. Der Herr gegenüber am anderen Tisch, mit dem sich Dimitri laut und angeregt unterhält, war Polizei- oder Militärchef der Ostkykladen und erzählt (laut Dimitris‘ fast aufgeregter Übersetzung ins hakelige Englisch), wir er immer den Fisch von den türkischen Fischern abgenommen hat – für vier Euro statt der zehn, die griechische Fischer haben wollten. Dimitris Fazit nach langer Erzähllegende des anderen: »No problem with greek and turkish people. Is only political.«

So also sieht das Volk die Lage. Aber das kann morgen wieder anders sein…

Ha! Ein Pfütze!

Der Weg zum Hotel, auf der Hauptstrasse quer durch den Ort, wird vorzugsweise durch Tasten mit den Füssen gefunden. Die zahlreichen Pfützen bemerkt man natürlich erst, wenn man drin steht. Aber zuweilen bescheinen auch Notbeleuchtungen und Schaufensterdekorationen (offensichtlich mit Batteriebetrieb) das Geschehen. Überall sitzen die Menschen in den zahllosen Kneipchen bei Kerze oder magisch weisser Röhren- oder LED-Notbeleuchtung. Es lebe der Fortschritt, Tod der 60-Watt-Glühbirne! Sie ist gerade zum 1. September europaweit verboten worden und prompt stiegen die Preise für die Quecksilber-Spar-Dinger. Wer wird da nicht an den Urlaubssprit erinnert.

Wir zu dem Zeitpunkt nicht. Wir haben andere »Sorgen«: Wir holen die beiden Taschenlampen aus dem Auto, verweigern die schicke Notlicht-Taschenlampen-Konstruktion des Chefs und gehen auf’s Zimmer.

Fiat Lux!

Wir sind noch nicht richtig drin, da geht das Licht an. Das wir nun nicht mehr brauchen. Denn es ist spät und wir sind schwuppdiwupp im Bett. Morgen geht’s weiter.

Picasa

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