Samstag, 21.07.2012, 22:11:34 :: Raudondvaris
Geburtstagsparty
Letzten Dienstag war Geburtstagsfeier unserer Freundin in Vilnius. Eine Freundin aus Georgien ist zu Besuch mit ihren beiden Kindern, ein paar ihrer Freundinnen und ihr Cousin. Ein gemütlicher Abend mit viel Unterhaltung: Litauisch, Russisch, Georgisch, Englisch und Deutsch. Gewiss, nicht jeder versteht alles, aber wir verstehen uns prächtig. Fragen gehen hin und her, Aha!-Erlebnisse gibt es bei manchen Antworten, dass wir sogar georgische Verwandtschaft haben, haben wir eingeworfen. Die Sprache gibt zum Stauen Anlass, gutturales »ch«, das richtig auszusprechen wir keine Chance haben, schon gar nicht Worte, in denen dieser Laut gleich zwei- oder dreimal vorkommt. Und selbstverständlich lässt sich die georgische Freundin nicht lumpen, akquiriert die Küche und stellt den Tisch voller Leckereien; nur ein Name bleibt mir erinnerlich: Khachapuiri, mit georgischer Pizza schlecht und recht charakterisiert; und selbstverständlich mit »ch«.
Irgendwann zu vorgerückterer Stunde reitet die Kinder der Teufel: Alle vier sind der Ansicht, die Tschatscha-Flasche müsse jetzt geöffnet werden. Georgischer Trester, vergleichbar einem Grappa. In der Gruppe sind sie stark, mütterliche Autorität gerät ins Wanken und endet in einem Kompromiss: Jede/r ein kleines Gläschen. Dann ist aber Schluss. Nun, wie Kompromisse eben so gedehnt werden – es werden zwei und die Fünfzehnjährige kippt das Zeug weg, dass Erstauen und Gelächter sind mischen. Das Hollo ist gross, die Gesten mancher werden ruhiger und auch unsicherer – Erfahrung will erfahren sein, auch wenn die fahrige Geste Glas, Teller und Gabel vom Tisch fegt.
Georgien…
…gehört ohne Zweifel zu Europa, erfahren wir. Ja, es ist Europa, sein Ursprung schlechthin liege dort. Also ist wohl wieder etwas Recherche angesagt.
Europa hat im Osten gegenüber Asien keine eindeutige geographische oder geologische Grenze. Deshalb sind die ‚Grenzen Europas‘ eine Frage gesellschaftlicher Übereinkunft, eine geographische Definition Europas ist immer willkürlich. Nach einer bekannten Formulierung von Bernard-Henri Lévy ist Europa „kein Ort, sondern eine Idee“. Im Folgenden wird aus pragmatischen Gründen bezüglich der Grenze zwischen Europa und Asien die Definition von Philip Johan von Strahlenberg verwendet. Danach bilden Uralgebirge und -fluss die Ostgrenze Europas. Zwischen dem Kaspischen Meer und dem Schwarzen Meer verläuft die Grenzlinie durch die Manytschniederung nördlich des Kaukasusgebirges, da an ihrer Stelle einst eine Meeresstraße das Kaspische Meer mit dem Schwarzen Meer verband.
Akzepieren wir also die Lévy’sche Idee, wir haben es dann leichter, zum ja die Türkei auch – aber lassen wir das jetzt.
Was wissen wir schon über Georgien?
Georgien liegt in Vorderasien, wird aber von seinen Bewohnern als Balkon Europas bezeichnet.
Da haben wir’s bereits. Dass Putin vor ein paar Jahren dort mal kurz mit Panzern rein ist, weil die USA ihn via Georgischem Präsidenten mit abtrünnigen Regionen geneckt haben, das habe ich so ähnlich noch parat. Nun sind die USA ganz sicher nicht Europa, aber sie sind in Georgien präsent, präsenter als Europa auf alle Fälle. Was natürlich wieder zu Überlegungen führt, was Europa eigentlich ist: Hinterhof, Erfüllungsgehilfe, Anhängsel am asiatischen Kontinent…?
Ein besonderes Verhältnis pflegt Georgien neben der Ukraine und Aserbaidschan mit der Gruppe der Neuen Freunde Georgiens: Estland, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien. Seit 2006 baut Georgien seine Verbindungen zum Iran und zur arabischen Welt aus. Es knüpft dabei an seine traditionelle Rolle als Mittler zwischen Orient und Okzident an.
Und warum fühlen sich Litauer und Georgier eigentlich so verbunden? Die gemeinsame Okkupation durch Russland während der UDSSR scheint es nicht zu sein finden die Freundinnen. Aber die offizielle politische Verbundenheit leitet sich wohl sicher aus der gemeinsamen Erfahrung mit Russland ab. Unsere Diskussionen mit Agrita in Lettland bestätigen das.
Man erkennt: Es gibt viel zu reden, zu fragen, zu erklären. Da trifft es sich gut, dass der Cousin ein Sommerhaus besitzt, in das er uns diesen Samstag alle eingeladen hat.
Landpartie: Sommerhaus und Sonne
Cousin Mindaugas selbst, samt Ehegattin und Sohn, der georgische Besuch, Ieva und Kinder, wir zwei – elf Personen sind wir insgesamt, die da im Dreiautotross Richtung Trakai und weiter in den tiefen Wald unterwegs sind, ausgestattet mit Speis‘ und Trunk, teilweise ergänzt durch Einkäufe im Laden vor Ort und guter Laune.
Denn es regnet tatsächlich erst relativ spät und das gemeine Essen findet unterm flugs zusammengeschobenen Partyzelt statt, sitzend, stehend – elf Personen samt Platten leckerer italophilen Leckereien und Gläser, fast eine Kunst, sie auf den paar Quadratmetern unterzubringen.
Schon die Fahrt, der Wald, die Wiesen, die Bächlein und Flüsse, alles auf dem Weg, samt johlender Kanugruppe, als wir passieren.
Und Sandpiste, klar, und sich im Gebüsch verlierender Waldwege. Aber wir kommen an, im Märchenland. Ein zugewachsenes Häuschen, Froschteich, Bänkchen. Und die Schmetterlinge. Ja, und diese Eiche im Garten. Was heisst Garten: Das Häuschen steht im Grünen, auf einer Lichtung, alles recht naturbelassen – wie eine Landpartie bei –– war es Matisse? Ja, diese Eiche. Steht da beherrschen, weit ausladend, niedrig jedoch, verrät aber dennoch, über und über bemoost, ihr Alter.
Di.e. Kinder toben durch die Gegend, der Hausherr samt Gattin toben in der Küche, Wasser für’s Grobe gibt’s nur aus dem Brunnen, die Chipstüten sind schneller leer als neue gefunden, wir trinken Kwass, alkoholfreies Bier, litauische Fanta, genannt »Rasa«, angeblich besser als das »Original« (was wohl eher keine Kunst ist…) – es ist herrlich hier draussen auf den grob gezimmerten Bänken, so hätte es bleiben können. Aber dass der Himmel zuzieht um dann beim Essen schliesslich tatsächlich die Schleusen sanft zu öffnen, das ist Litauischer Sommer dieses Jahr, ganz wie das früher im April mal war, als die Nordpolarzone noch zugefroren war und Grönland nicht inselgrosse Eisberge kalbte. So wird das gemeinsame Essen eben zur kombinierten Steh-und-Sitz-Szene, siehe oben.
Und auch fürs Familienalbum findet sich noch der Platz für ein grosselterliches Hinsitzen-und-Geniessen-Foto.
Da räumen wir eben zusammen. Un damit wir eine schöne, sonnige Rückfahrt haben, räumt Petrus den Himmel, schönste Abendsonne. Kurz nach Vilnius, auf unserer Reststrecke, regnet es dann wieder. April, wie ich schon bemerkte…
Aber wen kümmert der Regen…
…wenn er einen funktionierenden Scheibenwischer hat. Wir können es immer noch nicht fassen. Er wischt! Fast wünschen wir uns Dauerregen…
Picasa
Links:
Technorati Tags: Essen & Trinken, Europa, Europa2012, europe, Georgien, Kultur & Gesellschaft, Litauen, Photos, RundEuropa2012