* Rund Europa 2013, 4. Tag: Lecco – San Benedetto in Alpe

Mittwoch, 12.06.2013, 21:52:05 :: Albego

Nicht genug damit, dass wir Grazias neues Gästezimmer eingeweiht haben, ein gemeinsames Frühstück im Garten in der frühen Morgensonne beschliesst unser Treffen hier in Lecco. Gracia muss arbeiten gehen und wir müssen uns in den Nordappenin vorarbeiten.

Das bedeutet zunächst, Lecco zu verlassen,…

…Mailand zu umfahren, die mörderische Poebene bis Bologna zu durchqueren

…und dann den Einstieg zum Futapass zu finden. Alles gar nicht so einfach. Schilder wechseln in Italien, wie uns schon bekannt ist, sehr oft die Aufschrift, ausgewiesene Ziele sind dann in der Karte nicht, solche in der Karte auf den Schildern nicht wieder zu finden.

Total verfranst

Das passiert uns heute häufiger, dass wir abbiegen um nach ein paar hundert Metern – wenn’s gut geht – festzustellen, dass es das nun wieder nicht war und daher umzukehren. Von den Erlebnissen morgen gar nicht zu sprechen… Es ist eben einfach so: Wer nicht im Bus eines kundigen Fahrers oder in einem Flieger von A nach B sitzt oder wenigstens ausschliesslich die Autostrada oder wie die mörderischen Rennstrecken des Motorzeitalters auch jeweils heissen mögen, benutzt, der ist selbst schuld. So eben wir.

Belohnt werden wir auf unserem Zickzackweg mit Aussichten, tiefen dichten Wäldern, wenigen Dörfern, noch weniger Verkehr. Sich satt zu sehen macht Mühe…

Wenn aber Dorf, dann muss auch was zur Stärkung getan werden. Im Capucchinoland kein Problem.

Aus Lis‘ reich bestückter Capuccho-Sammlung

Ananas scheint die Vorliebe der Italiener zu geniessen – auch in den Säften, nach denen wir im Regal zunächst greifen, ist sie meist mit drin, oft auch pur.

Futa-Pass

Ja, warum der Futapass, den keiner kennt? Eine erste Antwort ist, dass es seit über zwei Jahrtausenden der Pass über den Nordapennin war, die Via Flaminia Militare führte über diesen Pass von Rom nach Bologna. Man weiss das erst sicher seit ein paar Jahrzehnten. Interessant, die Stellen nachzulesen. Die Via Flaminia wird uns weiter begleiten, in Pesaro werden wir hautnah auf sie treffen (wir werden an ihr wohnen…), wir werden ihr auch ein grösseres Stück folgen bis kurz vor Gubbio. Aber da sind wir derzeit noch lange nicht.

Familien-Geschichte

Der Ausschlag gebende Grund liegt aber in der Familiengeschichte. Am Futapass liegt der grösste deutsche Soldatenfriedhof in Italien, über dreissigtausend Gräber finden sich hier. Die Wehrmacht hat an diesem Pass versucht, die amerikanische Invasion aus dem Süden Italiens aufzuhalten. Im April 1945, einen knappen Monat vor Kriegsende, fanden hier die letzten sehr schweren Kämpfe statt. Bei diesem sinnlosen Schlachten verlor auch mein jüngerer Onkel als Unteroffizier der Gebirgsjäger sein Leben.

Nun interessiert mich militärische Geschichte nicht als Männer- oder Heldensport noch bin ich Anhänger einer Heldenverehrung jedweder Art. Aber es hängt eben vieles, wenn nicht alles, miteinander zusammen:

[…]als der tödlich Schuss Deine Urgrossmutter traf war sie nicht tot. Sie lebte weiter und das ist kein Widerspruch, wie Du noch sehen wirst. Ich weiss nicht, wann und wo genau er sie traf. Wie weh er tat. Wo er traf. Im Gehirn, in der Seele. Denn sie, nein, keiner hat es mir je gezeigt oder erzählt oder auch nur erwähnt; diesen Tod haben alle in der Familie verschwiegen, vergraben; als wäre er ein Missgeschick, ein Fleck auf der Familiengeschichte.

Für mich gab es nur das Bild dessen, den der Schuss wirklich traf: ein Knabe in Uniform, sauber und glatt gescheitelt, verlegen jugendlich lächelnd. Und das, dass mein Bruder seinen Namen mit angehängt bekam. Nur fünf Jahre später. Und als ich noch nicht wusste, wer das war: Rolf Koyemann, der mein Onkel geworden wäre, wenn er nicht ziemlich genau drei Monate vor meiner Geburt gefallen wäre; er starb irgendwo in den Apenninen, am Futapass, als 22-jähriger Gebirgsjäger am 11. April. Elf Tage vor Käthe Kollwitz – aber das nur nebenbei. Und nur 14 Tage, bevor sich Russen und Amerikaner bei Torgau trafen und eine weitere Wochen später der Krieg zu Ende war. Und nicht zuletzt: Am 31. Mai wäre er 23 Jahre alt geworden. Du merkst: um mich herum war viel Tod.

Sein Totenschein kam erst 1965 aus der DDR. So lange kann es dauern, bis einer wirklich tot ist, auch wenn er gerade erst angefangen hatte zu leben. 1965, das war das Jahr meines Abiturs, als ich Barbara kennenlernte. Da war ich zwanzig.[…]

Auszug aus meiner Biografie

Und deshalb hat es mich eben interessiert, wo das ist, Futapass, Block 46 Grab 1.

Nicht, dass ich bis dort hin gegangen wäre, zu dieser Grabplatte, deren Foto noch meine Mutter bei sich trug. Wie meist reicht mir die Lage, die Ausmasse, die Ausdruck des Wahnsinns sind, in den man junge Menschen geschickt hat und weiter schickt; um dann Soldatenfriedhöfe wie heilige Grale pflegen und hüten zu können…

Herbergssuche

In dieser Gegend ein Bett zu finden, ist schwierig. Das merken wir von Stunde zu Stunde. Bis auf ein Nobelhotel mit Zimmern ab 140€ pro Nacht finden wir zunächst nichts. Die meisten Albergos sind verlassen, geschlossen, zu verkaufen. Andere Hotel- und B&B-Hinweise, denen wir folgen, verlieren sich im Nirwana. Es ist keine Touristengegend, diese Täler sind allenfalls Ausgangspunkt für Wanderer.

Schliesslich finden wir einen Albergo, grau, verlassen, leer. Aber wir bekommen ein Zimmer, 42 €/Nacht, zzgl. 2 x 4€ Frühstück. Wie das alles aussah, darüber morgen. Wie so häufig sind wir die einzigen Gäste. Reist denn ausser uns niemand?

Tagesleistung, Tracks & Links:

  • 2013-06-12;Lecco-San Benedetto in Alpe;428;06:40;02:38;138;64.1;45.9
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