Sonntag, 03.07.2016, 18:47:10 :: MazÌŒeikiai, Hotel Valina
Samstag, 09.07.2016, 14:40:56 :: Raudondvaris
Wir übernachten kurz nach der Grenze zwischen Lettland und Litauen für 20 €/Nacht im Doppelzimmer, mit sehr gutem Internetanschluss und eher zu lautem Discostampf aus der Nachbarschaft gegenüber. Das Hotel hat den Charme der seit mehr als 25 Jahre vergangenen Ära nahezu ohne nennenswerte Renovierung bewahren können, die Dame an der Rezeption verlangt freundlich aber bestimmt cash, kann zunächst einen 50-Euroschein nicht wechseln, schafft es aber dann doch irgendwie nach einem längeren Ausflug – weiss ich wohin.
In Aizputē waren es übrigens gestern 30€ für ein Zimmer bester Klasse, aber ohne Frühstück. Das sind Preise, die zu unserer Reisekasse passen, waren es doch im Juni im Schnitt 70 € gewesen (teilweise mit Frühstück).
Aizputē am Sonntagmorgen
Der starke Regen hat aufgehört, hier und da spitzelt es noch. Wir machen uns auf, wenigstens die Festungsruine und die Johanniskirche, die älteste erhaltene Kirche in Kurland zu besuchen.
Die Kirche ist offen für den später beginnenden Gottesdienst, also werfen wir einen Blick hinein.
Die Ruinenreste der ehemaligen Ordensburg beeindrucken, trotz der Enge auf dem Hügel.
An die Ostsee: Der Hafen von PÄvilosta
Der Wegweiser in AizputÄ“ zeigt auf eine schmalere aber gute Strasse. Dort in PÄvilosta muss auch der historische Hafen gelegen haben. Wir entschliessen uns, ein Herrenhaus weiter südlich liegen zu lassen und an die Ostsee zu fahren, 30 km, das ist ok. Wir folgen der Tebra, die versumpft und verträumt etwas tiefer neben uns dahinruht, von fliessen ist nicht viel zu merken, schiffbar ist sie ganz bestimmt nicht mehr. Es müssen auch damals kleine Kähne gewesen sein. Wurden sie gerudert oder gab es einen Treidelpfad? Wir wissen es nicht, finden weder in Broschüren noch auf den Schautafeln irgend einen Hinweis.
Ja,… bis wir dann wieder auf einer Schotterpiste landen, Lettland hat sie in grösserem Umfang immer noch nicht abgeschafft, sie starten plötzlich, ohne Vorwarnung, nicht vorher erkennbar an der Strassenkategorie. Die Kategorie »P« kann alles sein: Frisch asphaltiert über löchrig-alt bis eben Kiesbett.
Aber wir schaffen es und landen an der Mündung der Saka, den letzten gemeinsamen Kilometern von Durbe und Tebra. Historisches findet sich allerdings allenfalls im kleinen Museum, das hat aber zu.
Es riecht weniger nach Meer als nach zarter Verwesung, aber wir sehen die Mündung und die Wellen…
Es gibt hingegen die KafejnÄ«ca „Laiva“, ein Café an der Hauptstrasse in einem der alten Holzhäuser.
Es ist gut besucht und da es nieselt sitzen fast alle drinnen. Geführt wird es von drei umsichtigen jungen Damen, deren eine wegen der Tassengrösse nachfragt, als Lis unsere Cappuccini bestellt: »small or little?«. Aber wir bekommen dann »big«, nachdem sich das Lachen auf beiden Seiten gelegt hat, einen frisch gepressten Orangensaft, ebenfalls big und einen leckeren Aprikosenkuchen mit Blaubeeren.
Hätten wir alles so nicht erwartet. Junge Leute eben, die verstanden haben, dass man den wenigen Touristen dennoch was bieten muss.
Nun sind wir also doch an der Küste gelandet, was wir eigentlich gar nicht wollten. Die Fahrt nach Süden, nach LiepÄja und weiter nach Klaipeda in Litauen kennen wir, wir wollen aber quer nach Südost zum Grenzort Ezere, dort treffen sich alle Strassen nach Litauen, andere können wir nicht ausmachen auf unseren Karten.
Grobiņa
Wir fahren zunächst nach Süden und landen in Grobiņa, wo wir die mächtige Ruine einer Ordensburg aus dem 13. Jahrhundert vorfinden. Natürlich mit See, das gehört hier nahezu immer zusammen.
Von nun an geht’s auf der A9 nach Osten, der Regen droht ständig, hält sich aber soweit zurück, dass wir die Landschaft betrachten können: Ackerbau, aber vor allem Weideland mit wiederkäuenden Kühen links und rechts. Und natürlich Störche.
Durbe
Im kleinen Ort Durbe, den man entlang einer vornehmen Weidenallee »betritt«, stöbern wir wieder eine Kirche auf, evangelisch und mit dem Hinweis auf einer Messingtafel, dass die Gemeinde Erfurt hier finanziell ausgeholfen hat. Und nicht zuletzt erfahren wir von einer Schlacht der Ordensritter gegen die Mannen von Mindaugas, dem Grossfürsten und späteren König Litauens, die hier geschlagen wurde (siehe auch Nationalfeiertag 6. Juli).
Und wieder überqueren wir die Venta, sehen immer wieder die Wegweiser nach Aizputē. Aber dann kommt gleich hinter Skrunda der Abzweig nach Süden zur Grenze. Es wird deutlich ländlicher und einsamer, Wald und Wiesen mit Störchen, die alle naslang auf ihren Nestern stehen und sich putzen oder durchs Gras schreiten und zustossen. Sehr schön.
Bis ich in die Eisen steige. Senfle steht und vor uns – Kiesbett. Nach ca. zehn Kilometern. Wenn die restlichen 40 km nun auch so…? Wir kehren um zur A9. Es bleiben zwei weitere Strassen nach Süden, die sich alle am gleichen Grenzort treffen, andere Strassen weisst das Navi nicht aus.
Wo bitte geht’s hier über die Grenze?
Man sollte es nicht glauben: Die Frage ist leicht gestellt, aber nicht ohne weiteres zu beantworten. In den Köpfen existiert sie wohl schon lange nicht mehr. Das stellen wir fest, als wir – zurück auf der A9 – im Ort fragen: Schulterzucken und verschämtes Lächeln; niemand weiss, wie man nach Litauen fährt. Wir nehmen dann die dritte der infrage kommenden Strassen bei Saldus (Frauenburg), in der Hoffnung, da uns LKWs entgegen kommen, dass sie schadlos zu passieren ist. Ist sie, wie wir später wissen, auch auf der litauischen Seite geht es gepflegt weiter.
Saldus (Frauenburg)
Die Stadt mach einen guten Eindruck, jedenfalls war hier einmal gut situiertes Bürgertum zuhause.
Weiter südlich liegt ein deutscher Soldatenfriedhof. Als wir vorüber fahren und die ausgedehnten Wiesenflächen mit den kleinen grauen Kreuzen sehen, ist uns nicht wirklich klar, was wir da gerade sehen; Lis hatte aus dem Augenwinkel das Schild halb erfasst. Erst am Abend recherchieren wir. Es ist immer wieder so: Wir planen eine ungefähre Route, warten was wohl kommen mag. Unterwegs haben wir ja kein Internet. Und abends, so wir dann eins haben, oder viel später entdeckend wir gegebenenfalls die Bedeutung dessen, was wir gesehen haben – oder eben, was wir verpasst haben. Aber ich halte es immer noch für die bessere, die überraschenderer Art zu reisen, als schon vor Begin zu wissen, was passiert sein wird, wen der Tag vorbei ist. Dennoch ist es vielfach schade: Jeder Ort hat seine Geschichte, eventuell etwas besonderes, was Wert gewesen wäre, es zu sehen. Aber so kommt man eben auch nicht unbedingt weiter…
Wen es also interessiert:
Am 4. September 1999 weihte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge nach dreijährigen Umbettungsarbeiten südlich von Saldus (dt. Frauenburg) in Lettland die größte deutsche Kriegsgräberstätte in den baltischen Staaten ein. Sie wird überragt von einem 7,5 Meter hohen christlichen Metallkreuz. Ausgelegt auf die Bestattung von 30.000 Toten, wurden hier bis 2009 mehr als 22.000 Gefallene beigesetzt. Die Gebeine von 2.000 Toten kamen von einem im Ort Frauenburg selbst gelegenen, teilzerstörtem Friedhof. Es handelt sich bei Saldus um den „zentralen Sammelfriedhof für die in den westlichen Landesteilen Lettlands gefallenen oder in Kriegsgefangenschaft ums Leben gekommenen deutschen Soldaten und Soldaten anderer Länder, die auf deutscher Seite kämpften“.[2]
Laut Erklärungstafeln auf dem Friedhof betrugen in den Kurlandschlachten die Verluste von Deutschen und Letten 50.000 Mann, die der Roten Armee 400.000 Mann. Zur Sowjetzeit waren viele Soldatengräber auch in Lettland zerstört oder unkenntlich gemacht worden.[3]
– Wikipedia
Links:
- private Webseite :: Kurlandschlachten
- Wikipedia :: Kurlandkessel
Der Rest dann wird zur Überlandfahrt im Regen, bis zum Litauischen Grenzpfahl und der EU-Sternensonne und weiter bis nach Mažeikiai, wo wir dann dank Auskunft unserer Navi-App*) dieses traumhafte Hotel – siehe Artikelanfang – finden, bei Regen auspacken, uns im vierten Stock verschanzen und bei geöffnetem Fenster und das ganze Viertel volldröhnender Discomusik unser schmales Abendbrot geniessen und den Tag aufarbeiten. Die Bar unten im Haus hat nämlich sonntags geschlossen.
*)Ich muss sie jetzt einfach mal erwähnen, die iPhone-App Scout, die uns seit einigen Jahren mühe- und nahezu fehlerlos durch Europa dirigiert, ob durch Großstädte oder über Sandpisten irgendwo in den verlassenen Gegenden des Kontinents: Kostenlos, das Kartenmaterial für Europa ganze 6 € inkl. kostenloser Updates der Offline-Karten (!!!) und ortsbezogenem Infoteil über Sehenswertes, Gastronomie, Unterkünfte und und und. Mehr braucht man nicht. Warum viele 70 und mehr Euros pro Jahr für aktuelle Karten bezahlen erschliesst sich mir schon lange nicht mehr.