Samstag, 27.08.2016, 22:34:01 :: Khmelnitskyi, Hotel Enaïda
Donnerstag, 24.11.2016, 00:02:29 :: Galanado
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir an diesem Morgen nicht alleine beim Frühstück sitzen.
Die heutige Strecke wäre wohl langweilig, hätte sie nicht drei Ziele. Man sieht das schon an der Route, die aussieht als hätten wir nicht gewusst, wohin. Der Weg weiter nach Osten führt nämlich fast zwangsweise auf der Hauptverkehrsstrasse, will man nicht irgendwann in der Wildnis enden. Und die ist öde. Aber die beiden »Seitentriebe« in der obigen Route…
Brody – ein Nachtrag
Zunächst aber ein Einschub, der eigentlich in den vorigen Beitrag gehört. Der ist aber wegen der Bilder schon eh‘ zu lang. Wir passierten vor zwei Tagen u.a. das galizische Schtetl Brody, den Geburtsort von Joseph Roth. Wir waren dort vor vier Jahren, fast zur gleichen Zeit: Am 23.8.2012 – und der Beitrag für diesen Tag ist bis heute noch nicht geschrieben. Brody hat eine sehr interessante Geschichte, die man dem Ort heute nicht mehr ansieht. Einst einer der wichtigsten Handelsplätze zwischen Ost und West bietet er heute einen sehr bescheidenen und traurigen Anblick.
Als literarischer Ort taucht Brody in Joseph Roths Erzählungen und Romanen mehrfach auf; aber auch da eher trostlos…
Fortschritte gegenüber vor vier Jahren?
Dem Ausbau der Strasse ist eine Menge zum Opfer gefallen; da kann auch kein frischer Anstrich darüber hinweg täuschen.
Nun aber zurück…
…zu unserer heutigen Route. Ich sagte schon: viel gibt die Strasse nach Osten nicht her. Es ist öde Hauptroute, zuweilen ausgebessert, zuweilen gar völlig neu und verbreitert; aber Schlaglöcher kommen dennoch ohne Ankündigung.
Zwei Struvepunkte
Das Bild ändert sich erst, als wir zu unserem ersten Ziel abbiegen: Westlich von Khmelnitskyi liegen zwei Struvepunkte, einer nördlich, einer südlich der Hauptstrasse.
Wir wenden und zunächst dem Struvepunkt von Katerinowka nördlich der Haupstasse zu.
Das Internet ist wenig auskunftsfreudig, hier und hier wird der Punkt wenigstens erwähnt. Allzu viele Touristen verirren sich hierher nicht. Überhaupt Touristen in der Ukraine: Über Lemberg kommt kaum einer hinaus. Jedenfalls begegnen uns nie welche, die Jahre zuvor nicht, jetzt nicht.
Also los! Es ist Punkt B im Bild, er liegt nördlich der Hauptverkehrsachse. Ausser in den kleinen Ansiedlungen am Wege herrscht hier absolute Ruhe, die Sonnenblumenfelder liegen total ausgedörrt.
Immerhin kreuzt eine Bahnstrecke unseren Weg und hält uns für ein paar Minuten auf.
Natürlich wird die Strasse immer unangenehmer, schmaler, holpriger. Aber bisher kommen wir ja immerhin noch an Wegkreuzen, Kirchen, Haltestellen und Seen vorbei. Hier leben Menschen, die uns auch immer wieder begegnen: Schwatzend am Dorfplatz, auf dem Fahrrad, dem Pferdewagen.
Bis die Strasse dann schleichend in einen Feldweg mündet, entlang eines dieser allgegenwärtigen Sonnenblumenfelder.
Hier, wo das GPS den gesuchten Punkt behauptet, ist nur Staub, Mittagshitze und eben Sonnenblumen. Und irgendwann – das muss die Stelle sein! – ein kleiner Hügel, ein paar Bäumchen.
Dieses Arrangement beherbergt in der Tat den Messpunkt und eine entsprechende – »Grabplatte«; so möchte man die Gedenktafel nennen, die untrüglich meine Vermutung bestätigt und hinter sich ein Loch verbirgt, das wohl wiederum den eigentlichen Messpunkt birgt. Ich bin etwas enttäuscht, wir sind ja »prunkvollere« Struvepunkte gewohnt. Aber der nächste wartet ja auf uns, südlich der Hauptstrasse. Und dann bleiben nur noch drei, bis hinunter ans Schwarze Meer. Aber dazu komme ich ja zu gegebener Zeit noch…
Messpunkt 2: Felgten
Wir holpern also die ganze Strecke zurück, überqueren die Hauptstrasse und folgen der GPS-Route mit Spannung nach Süden, nach Felgten, heute Hwardijske. Es ist dort noch einsamer.
Hartnäckig, auch ohne eine Siedlung weit und breit, ragen neue Kirchlein aus den Feldern, ich denke an Naxos, wo auch auf Schritt und Tritt durch die Felder eine Kapelle oder Kirche steht – Agios Dimitios, Ioannis… Wie mögen diese wohl heissen? Es sind ja alles orthodoxe Gotteshäuser und sie sind fast immer verschlossen. Nur hier und da haben wir Glück, wenn geputzt und aufgeräumt wird, eine Hochzeit gehalten wird. Dann bekommen wir auch zuweilen einen freudigen Empfang und bekommen wortreiche Erklärungen, die wir nicht verstehen; aber ein Kerzlein oder auch mehrere, Geld für die Kirchenkasse, für derartige Kleinigkeiten sind die Frauen dankbar.
Vieles ist verfallen hier, aber die blitzblanke neue Kirche in Hwardijske, dem letzten kleinen Weiler, ehe es die kleine Anhöhe hinauf geht, wo uns Kreuz und Messbake grüssen, die steht stolz am Rand der Staubstrasse in dieser kleinen Streusiedlung. Und ein armer, sehr verwahrlost wirkender Mann, der um Zigaretten bettelt, begrüsst uns, als wir an der Weggabelung aussteigen. Sonst gibt es hier nichts und niemanden – nur diesen kleinen Höcker, mitten im Feld mit orthodoxem Kreuz, Messbake und einem ähnlichen »Grabstein« wie zuvor in Katerinowka.
Was ist das für ein Gefühl, immer wieder an solchen Messpunkten zu stehen? Den ersten entdeckten wir 2012, hoch im Norden Schwedens und ganz zufällig. Erst die Lektüre im Internet brachte zutage, welche Bedeutung diese Punkte haben und – es sind ja bei weitem nicht alle erhalten – für welch eine Leistung sie stehen: Eine Messreihe vom Nordkap bis zum Schwarzen Meer, wissenschaftlich, politisch, und als Zeugnis menschlichen Willens, eine derart umfassende Arbeit zu koordinieren, zu leisten und zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Erhebend ist zu gross. Aber beeindruckend schon. Und es war eine europäische Leistung. Mit Russland.
Dieser Punkt hier ist also der viertletzte, es werden noch drei folgen auf unserem Weg nach Süden: einer südlich von Chmelnyzkyj, ein weiterer dann im Norden Moldawiens unweit der Grenze zur Ukraine bei Rudi und der letzte eben unten am Nordarm des Donaudeltas bei Ismajil.
Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg.
Chmelnyzkyj
Wir wollten zum Wochenende kommen, da Viktor dann arbeitsfrei und Zeit für uns hat. Mittlerweile hat die junge Familie ein Töchterchen, für das ein Geschenk hinten im Senfle ruht. Nach unserer Ankunft und einem freudigen Empfang machen wir uns auf in die Stadt, wir wollen sehen, was sich verändert hat. Der Maidan und die ganze Zeit des Putsches in Kiew waren hier in der Westukraine nicht zu spüren, das Leben ging einfach weiter.
Fast. Die Teuerung ist enorm, die Fröhlichkeit und Buntheit, die Zahl der flanierenden Schönheiten scheint gedämpft oder vorbei. Nur der Bauboom ist unbegrenzt: Wohnblocks, Einkaufszentren, Bürohäuser – so wie überall und es wird uns versichert, all das wird genutzt. Wir werden es erleben.
Die Einladung, bei unseren Freunden zu übernachten, schlagen wir aus: Es stört den Ablauf der Familie und unser gewohntes Hotel ist spottgünstig wie eh‘ und je. aber eben nur für uns.