* Rund Europa 2016 (3), 25. Tag: Wylkove (Donaudelta, 1)

Donnerstag, 15.09.2016, 16:11:33 :: Wylkove, Hotelanlage Pelikan
Mittwoch, 08.02.2017, 16:50:20 :: Galanado

Übeschrift und Karte verraten ja schon, was jetzt kommt. Aber nicht alles. Während des Frühstücks und kurz danach waren wir uns gar nicht sicher, wie es weiter gehen sollte. Wir unterhielten uns während und nach einem reichlichen Omelett nochmals lange mit dem ehemaligen Lehrer aus Bayern, der ebenfalls, wieder am Nebentisch, sein umfangreiches Frühstück genoss. Er würde heute weiter nach Kilija fahren. Aber »oben herum«, nicht auf der direkten Strasse an der Donau entlang. Die sei noch schrecklicher als als die, auf der wir herkamen. Es sei besser, diese Strecke zurück zu fahren und den Umweg in Kauf zu nehmen.

Donaudelta ohne Donau? Unsere Zeit ist ja knapp wegen des langen Aufenthalts in Chmelnytskyi. Wir werden unsicher, studieren die Karte. War ja schon heftig gestern. Heute noch heftiger? Wir berechnen nochmals die alternativen Routen, schätzen die wohl nötige Zeit – kurz, wir sind sehr unschlüssig. Es sind direkt nur 35 km, oben herum ein Vielfaches mehr; und die Rumpelstrecke von gestern zurück…? Dann der mutige Entschluss: Wir versuchen die Mörderstrecke an der Donau entlang.

Der Platz direkt vor dem Hotel

Doch schon zehn Minuten später hat sich (zunächst) all das erledigt. Als wir das Auto packen wollen, fehlt der Autoschlüssel. Das heisst, er steckt im Zündschloss, das Auto ist offen. Und was ist also wieder leer? Richtig, die Batterie. Aber wir haben ja die neue im Kofferraum, dazu das ebenfalls erworbene Starterkabel, frisch und neu, originalverpackt.

Beides nutzt so nichts. Das Senfle macht keinerlei Anstalten, anzuspringen. Der »Werkschutz« vom Hotel kommt neugierig mit fragendem Blick, geht dann um die Ecke und kommt mit einem jungen Arbeiter zurück, der dort gerade am Installieren ist. Der schaut sich alles kurz an, geht wieder, kommt mit seinem Werkzeugkasten zurück, tauscht die Batterie und – das Senfle läuft, als wäre nichts gewesen.

Ich rolle das Kabel auf, wir packen alles ein – und nun?

Stadtrundfahrt und -gang

Mittlerweile ist es zu spät zum Weiterfahren. Also kommen alle ursprünglichen Pläne wieder hoch. Knappe Zeit? Noch mehr verspätet zurück nach Naxos (wir wollten der ursprünglichen Planung nach eigentlich bereits dort sein)?

Pah! Wir planen kurzerhand um: Stadt besichtigen und eine Schiffsfahrt auf der Donau, das war unser Wunsch bei der ursprünglichen Planung in Vilnius. Unser Lehrer hatte gestern Abend gemeint, es sei sinnvoll, die Stadt zunächst mit dem Auto zu erkunden. Also machen wir das doch!

Wir scheitern schon ein paar Strassen weiter. Wylkove bekommt Kabel und/oder Kanalisation. Dass die Stadt buchstäblich auf Sand gebaut ist, ist offensichtlich.

Wir steigen aus und gehen zu Fuss.

Die Kirche ist eigentlich zu prächtig für das geduckte Städtchen, die Kanälchen des ukrainischen Venedigs sind versteckt und müssen den Canale Grande als Vergleich echt scheuen. Aber wir nehmen alles, wie es eben ist, genau so.

Auch hier, tief im letzten Zipfel der Ukraine, betätigt sich die EU; womit, das können wir nicht entziffern.

Der Markt ist sehr ärmlich, was nicht anders zu erwarten ist, wir kennen das. Gemüse gibt es reichlich, chinesischen Ramsch ebenso – wie überall in Europa.

Ich muss bei solchen Gelegenheiten immer sofort an Mostar in Bosnien denken: Eine damals noch sehr stark vom Krieg gezeichnete Stadt – ausgebrannte Ruinen überall –, aber zwei Chinaläden mit all dem Ramsch, der auch hier in den Auslagen liegt.

Und ich erschrecke: Schon wieder zehn Jahre ist das her. Keine Bilder im Blog. Keine Umlaute im Text. Ich gehe die Bilder von damals durch… Es ist seither doch besser geworden mit eigenem Laptop und Internetversorgung.

Die Stadt Wylkove: Es geht emsig zu, Autoverkehr, Busverkehr, stinkende Motorräder. Es herrscht richtig Leben hier. Wir gehen zurück zum Auto und suchen uns aufgrund der mittlerweile erworbenen Ortskenntnis einen Weg zur Anlegestelle der Ausflugsschiffe.

Still ist es da. Ausser den beiden Statuen – eines Priesters und eines Fischers –, über die wir schon gelesen hatten, ist niemand da. Doch. In dem kleinen Kassenhaus, das mit Tafeln Auskunft gibt über die möglichen Routen auf der Donau und die Abfahrtszeiten, ist die Türe offen. Drinnen sitzt eine Frau – wer weiss warum –, der wir unseren Wunsch irgendwie vermitteln können. Aber wir verstehen: Keine Rundfahrten mehr, Ende der Saison.

Wir ziehen uns in das Café schräg gegenüber für eine Cola zurück, enttäuscht und wollen eigentlich nicht aufgeben.

Wir gehen nochmals zurück zur nochmaligen Nachfrage. Und siehe da, wir meinen zu verstehen: Eine private Bootsfahrt zum Point Zero, also bis ganz zur Mündung, kostet 1000 Griwna (35 €), das machen wir. Über die Konsequenzen hinsichtlich Übernachtung etc. machen wir uns da noch keine Gedanken. Zunächst wird uns ein Mitarbeiter von Pelikan abholen, sie sind hier wohl der Monopolist in Sachen Donauausflugsschifffahrt. So.

Das Unternehmen »Pelikan« holt uns ab, per Mofa kommt der Mitarbeiter, wir folgen ihm im Zickzack durch die immer dünner besiedelten Aussenbezirke und landen in einer grossen Anlage, mit Pforte, Hafen, Campinghütten, Restaurant…

Und so buchen wir da nicht nur eine private Donautour sondern auch gleich für die Nacht eine Hütte, direkt am Fluss. Die Fenster und die Terrasse sind perfekt mit Fliegengitter geschützt, man kann Durchzug machen…

Zum Point Zero

Mit einem kleinen Motorboot fahren wir dann hinaus auf die Donau, gespannt wie Flitzebogen. Der Käpt’n ist ein Netter, wahrscheinlich Russe; wie uns alles irgendwie »wie in russischer Hand« vorkommt. Aber das in dieser Ecke Bessarabiens ja eh‘ so eine Sache: Man weiss nie so ganz genau, wer gerade die Mehrheit stellt: Ukrainer, Russen, Bulgaren, Rumänen, Moldawier, Gagausen. Die einst ansässigen Deutschen, ca 100.000 an der Zahl, wurden bis Herbst 1940 von Reni aus auf der Donau flussaufwärts evakuiert und im Deutschen Reich verteilt, das nie ihre Heimat gewesen war. Der jüdische Teil der Bevölkerung, 40 bis 50%, damals wurde von den Rumänen und später den Deutschen ausgelöscht. Reni wird unser übernächstes Ziel sein.

An dieser Stelle sei auf ein Buch von Karl-Markus Gauss hingewiesen:

Besser als er bringt einem schwerlich jemand diese Länder nahe.

➞ Fortsetzung ( Teil 2)

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