Donnerstag, 15.09.2016, 16:11:33 :: Wylkove,
Donaufahrt
Wir brausen hinein ins Donaudelta, ein Gebiet der Superlative.
Das Donaudelta … ist das Mündungsgebiet der Donau am Schwarzen Meer und – nach dem Wolgadelta – das zweitgrößte Flussdelta Europas. Es besteht aus drei Hauptarmen sowie unzähligen Seitenarmen, Röhrichten, schwimmenden Inseln, Altarmen und Seen, aber auch Auwäldern sowie extremen Trockenbiotopen auf Dünen. Kurz vor Tulcea teilt sich der Strom in zwei Arme nach Chilia und Tulcea, kurz hinter Tulcea teilt er sich erneut in zwei Arme nach Sulina und Sfântu Gheorghe. Das 5000 km² große, weltweit einmalige Ökosystem ist Europas größtes Feuchtgebiet, es gilt als größtes zusammenhängendes Schilfrohrgebiet der Erde und ist der Lebensraum von über 4000 Tier- und über 1000 Pflanzenarten. Urtümliche Galeriewälder aus Eichen, Weiden und Pappeln säumen die Ufer des Donaudeltas.
Da wir uns auf der ukrainischen Seite des Kilija-Arms befinden, bleibt uns der weitaus grössere, südlich liegende Teil auf der rumänischen Seite natürlich verschlossen. Aber man kann das Delta sowieso nicht auf einer Fahrt auch nur halbwegs kennen lernen – eine Woche Ukraine, zwei Wochen Rumänien, dann hätte man wirklich eine Vorstellung.
Kreuz und quer geht es über das grüne trübe Wasser. An den Ufern drängen sind zunächst noch Gartengrundstücke dicht an dicht, die mit Bootsstegen bis ans Wasser reichen. Wohn- und Wochenendhäuser ziehen vorüber, wir überholen Boote, andere kommen uns entgegen.
Unser Kapitän fischt während der Fahrt einige der zahlreich herum schwimmenden Äpfel aus den Fluten, trocknet und zerteilt sie und bietet sie uns zum Naschen an; ebenso nussartige Früchte, die wir nicht kennen. Die Donau scheint sehr sauber zu sein, Bauchschmerzen stellen sich auch später nicht ein.
Zwischendurch fährt der Kaptän auch mal beherzt ins Ufergebüsch, routiniert pflügt er halbe Blütenbüsche, um sie Lis in den Arm zu legen. Dann verlangt er nach einer Kamera, um – wie er es gewohnt ist – uns Touristen zu einem ewigen Andenken zu verhelfen.
Als wir bis einige hundert Meter an die Mündung gelangt sind, wird das Wasser flach, Binsen ragen aus dem Wasser, schwimmende Inseln und Sandbänke werden häufiger, Schwäne schwimmen majestätisch am Ufer und Kormorane sitzen auf kahlen Ästen die sich auf ihrer Reise zum Schwarzen Meere im Sand und den Binsen verfangen haben. Jetzt wäre ein gutes Teleobjektiv die richtige Ausrüstung…
Es ist einen aufregende und gemütliche Fahrt zugleich bis hierher, bisweilen unwirklich. Der Eindruck verstärkt sich jetzt, als wir in der Ferne die Dünung des Schwarzen Meeres erkennen können.
Am Point Zero
Wir legen an. Weiter vorne sehen wir schon die Fluss/Land-Marke, die den Nullpunkt markiert, wo – derzeit! – die Donau aufhört der Fluss zu sein, der sich nach 2.857 Kilometern durch Europa ins Schwarze Mehr ergiesst. Weiter vorne in drei- bis fünfhundert Metern brandet das Meer.
Ich sage »derzeit«, denn die Schautafeln erklären, mit welcher Geschwindigkeit der neueste Teil des europäischen Festlandes wächst; die antransportierten Sedimente des Flusses vergrössern Europa ständig. Wir können als getrost warten, bis das Schwarze Meer vollständig Europäische Scholle ist… 😉
Gleichzeitig kann ich die Erfahrung machen, dass Kartenmaterial nicht immer und überall auf dem aktuellen Stand ist: Laut der Karte ganz am Anfang sind wir jetzt im Wasser, weit draussen, Google Earth hingegen signalisiert trockene Füsse:
Und dem ist tatsächlich so.
Rückfahrt
Ein letzen Blick hinaus zum Meer, dann löst der Kapitän die Leinen und wir düsen im nördlichen Flussarm zurück nach Wylkove.
Auch jetzt fährt er wieder jäh ins Dickicht und pflückt Blumen und schwer duftende Minze für Lis und jedes mal gibt’s wieder ein Erinnerungsfoto.
Da sind wir schon an der Einfahrt zum heimatlichen Hafen. Das verbeulte Touristenschiff ist uns erspart geblieben, es wäre ein völlig anderes Erlebnis gewesen, hierauf mit 50 anderen Gästen womöglich in der zweiten Reihe zu sitzen – wir hatten mal wieder Glück.
Der Tag neigt sich. Noch schwirren keine Mücken, da kann ein wenig Ausruhen nicht schaden. Die letzten Boote ziehen vorüber, irgendwo quakt ab und an ein Frosch, unten neben mir blüht im Wasserlinsenbeet der Froschlöffel und Schnecken ziehen ihre Bahn im Schlamm – es lässt sich aushalten…
Lis hat das Abendessen vorbestellt, das wir uns zu einem der Essplätze am Wasser bringen lassen. Der Salzhering ist für mich allerdings höchst ungeniessbar, die Bratkartoffeln hingegen sind lecker.
Internet gibt es nur nur am Eingang, das Büro ist geschlossen und sie haben den Router wohl abgestellt. Zudem wird es kühl bis kalt ohne Sonne. So verziehen wir uns in unsere Hütte, während die russischen Nachbarn ringsum die Grills anwerfen und schweren Duft und grosses Hallo verbreiten.
Ende der Donaureise
Wir hatten vor Jahren den Plan, der Donau bis zu ihrer Mündung zu folgen, immer so dicht wie möglich.
Donau. Biographie eines Flusses, der dicke Schmöker von Claudio Magri, in dem ich seit Jahren immer wieder lese, gab damals wohl den Anstoss. 2006 war es dann soweit. Wir starteten Mitte Juli in Regensburg; dort war sozusagen unsere erste Donauberührung. Heute, 10 Jahre später waren wir endlich an ihrer Mündung, der wir Ende Juli 2006 in Tulcea zwar sehr nahe waren, für die wir aber die Zeit nicht hatten auf unserem Weg nach Litauen. Sehnsuchtsziele warten zuweilen lange aber geduldig.
Exkurs: Über die positiven Folgen von persönlichem Versagen
Hätte ich nicht…
- die Batterie leerlaufen lassen in Khmelnitskyi
- die Ersatzbatterie gekauft
- wieder die Batterie leerlaufen lassen in Wylkove
dann wären wir heute früh wohl weiter gefahren nach Kilija, der Ausflug ins Donaudelta hätte nicht stattgefunden, dieser Teil der Donau wäre uns ein weiters Mal fremd geblieben.