Vier Tage durch Belarus sollten es werden. Das Visum hätte das hergegeben. Nach ziemlich genau 19 Stunden war ich wieder in Raudondvaris. Nach einem echten Horrortrip. Ich möchte fast sagen, der Tag gehört aus meinem Leben gestrichen.
Was war passiert?
Das Visum kostete mich etwas über 60 €. Die Zollformalitäten, obwohl nur 1,5 Stunden waren Nonsens und unwürdig zugleich. Dazu aber später. Was ich nicht bedacht hatte: In Belarus gibt es kaum Menschen die Englisch oder Deutsch verstehen. Viele verstehen nicht mal ihre eignen Muttersprache. Ihnen reicht Russisch. Dazu hätte es wohl nichts genutzt, wenn sie mir hätten antworten können, wo ich ein Hotel finden könne. Es gibt offensichtlich keine, selbst in mittelgrossen Städten nicht. Auch die Polizisten, die überall herumlungern, grinsen nur und giessen einen Schwall Russisch über mich.
Und Minsk, wo ich dann eines zu finden versuchte, wurde von Grössenwahnsinnigen erbaut, er verschlägt mir den Atem, diese Beton gewordene Soz-Zuckerguss-Gigantomanie. Und nimmt mir Kraft und Mut, da wieder heraus zu kommen, selbst mit GPS. Niemand antwortet auf meine Fragen. Es gibt keine Weghinweise. Ich habe jedenfalls keine erkennen können, auch unter Beachtung der Tatsache, dass alles in Kyrillisch steht. Ein Hotel habe ich zwar gefunden – das »Minsk« – aber die Preise… Ein anderes ward nicht gesichtet oder erfragt. Polizei als Freund und Helfer fällt komplett aus; aber auf durch Herumlungern an jeder Ecke.
Mein Entschluss, zurück nach Vilnius zu fahren – und zwar sofort – stand nach ca. 1 Stunde fest; dem entgegen aber wie erwähnt die fehlenden Fahrhinweise. »Nach Norden oder Nordwesten« reichte nicht. So fuhr ich stundenlang kreuz und quer und suchte den Ausgang. Und als ich ihn schliesslich gefunden hatte, war es schon dunkel. Viele Autos fuhren immer noch ohne Licht und zwar einen höllischen Stil, der auch vor grosszügigen Spurwechseln über 3, 4 Spuren, Gehsteigbenutzung oder roten Ampeln nicht halt macht. Die überall herumstehende Polizei schreitet nicht ein.
Endlich auf der richtigen Ausfallstrasse
Das erste Hinweisschild (Vilnius 186 km) sehe ich, als ich definitiv ausserhalb von Minsk und ganz sich auf der richtigen Strasse bin. Die Spritanzeige bedeutete mir mittlerweile, dass meine Schätzung nicht mehr stimmte, aber alles noch im grünen Bereich liege; der Sprit würde bis Vilnius reichen.
Wenn unterwegs nicht plötzlich die Strasse nach Vilnius nach einer Baustelle verschwunden gewesen wäre. Gut, dachte ich, mal wieder nicht aufgepasst. Also irgendwann drehen und zurück, ca. 50 km. Ausfahrt mit gegenüber liegender Auffahrt suchen (gefunden! Im Dunkeln!) und die Gabelung erneut ansteuern. Auf dem GPS-Display sehe ich sie genau. Jetzt bin ich an der Stelle, aber in der Wirklichkeit fehlt sie eben. Es gibt nur die Strasse nach Grodno.
No way to Vilnius
Der Sprit nahm weiter ab, die gefahrenen Kilometer zu, ohne dass ich meinem Ziel näher gekommen wäre. Da naht Rettung! Eine Tankstelle! Ich raus und – die Zufahrt ist mit einer Schranke versperrt. Widerrechtlich fahre ich über die Ausfahrt an die Zapfsäulen. Schlauch in Tank und – nix kommt raus. Nur der Tankwart, der kommt raus aus seinem Kabuff. Kein Sprit mehr, bedeutet er mir. Computer aus. Nimmt den Zapfschlauch aus meinem Tank, hängt ihn wieder in seine Halterung und geht zurück in seine Bude.
Jetzt hier im Auto übernachten? Morgen früh gibt’s wieder Sprit, es ist hell, alles wird einfacher, aller wird gut. Denke ich. Und dann: Nein, ich will hier raus! Und fahre also weiter.
An einer LKW-Wiegestation halte ich an. Auf meine hilflose Frage »Vilnius?« winkt mich der Waagenmeister freundlich ins Kabuff und zeigt mit dickem Finger auf eine völlig abgewetzte und dem entsprechend »blinde« Stelle auf einer Wandkarte. Dort gäbe es irgendwo eine Umleitung, die wieder auf die Strasse nach Vilnius führt, entnehme ich all dem. Nachdem ich das dann auf meiner Strassenkarte verifiziert habe, kommt eigentlich nur eine Strasse durch Valožyn in Frage. Also Ausfahrt gesucht – und gefunden, ebenfalls den Ort und – dank GPS – die Strasse Richtung Autostrasse nach Vilnius. Und ich finde auch diese Auffahrt. Nur: Die Richtung nach Vilnius ist – gesperrt. Nur nach Minsk ist sie offen.
Und der Sprit wurde weiter weniger. Kurz rechne ich: Nach Minsk zurück – mittlerweile über 70 km – würde das Benzin noch reichen. Und nach Vilnius? Wie überhaupt? Also zurück auf den Hauptplatz von Valožyn, wo eine Unmenge Jugendlicher mit ihren Bierflaschen lärmend herumstehen. »Vilnius?« frage ich wieder, nachdem auf meine Frage, ob jemand vielleicht Englisch oder Deutsch verstehe, nur Gelächter als Antwort kam. Einer schaut mich weiter an.
Vilnius? Diese Richtung, meint seine Handbewegung. Eine Richtung, die eigentlich nicht sein kann. Aber ich fahre sie. Nach einigen Kilometern ein Schild, das ich fast übersehen hätte: »M7 Vilnius« – in Kyrillisch. Nach nur 100 Metern bin ich drauf, fast wie von alleine…
Und der Sprit?
Der wird wohl irgendwie – vielleicht – reichen müssen. Klimaanlage schon längst abgestellt, Fenster zu. Es ist stickig. Und da? Plötzlich. Eine Tankstelle! Abgebogen, reingefahren, lauter LKWs stehen da. Die Zufahrt zu den Zapfsäulen verstellt. Raus aus dem Auto, hin und her laufen. Da kommt einer der Fahrer, versetzt sein Fahrzeug etwas, die Zufahrt wird frei, ich bekomme mein Benzin, zahle 46.200 weissrussische Rubel (16€) für 20 Liter und bin ein freier Mensch, alle Wege stehen mir offen! Auch der nach Vilnius. Offen auch gleich wieder das Seitenfenster…
Halt! Da kommt ja noch der Zoll!
Und sag‘ ich’s nicht: Der nächtliche Zick-Zack-Lauf von Büdchen zu Büdchen wird tatsächlich zum Hinternislauf: Einmal werde ich gefragt, dann mehrfach angeschrieen. »How many?« übersetzt irgendein Mitwartender. Tja, wieviel was? Am Ende stellt sich heraus, dass sie nur wissen will, die tarnangeezogene Blondine, ob ich alleine reise. Da ich nur einen Pass reingereicht habe, sollte das allerdings schon so geklärt sein. Übrigens: Lauter Blonienen hier, auch heute morgen. Die Männer fast alle mit Drei-Tage-Glatze. Mein erster Kontaktmann heute morgen war wohl der Bruder von Putin. Jedenfalls glich er dem im Fernsehen ziemlich.
Und dann fehlt an der vorletzten Station ein Stempel auf der Rückseite eines der vielen Papiere. Da ich den nicht draufhauen kann, war das nun eindeutig ein Fehler der vorigen Stelle. Deshalb wohl lächelt (!) diese Blondine gequält, als sie mir mit einem russischen Schwall zu erklären versucht, was sie daran hindert, mich laufen zu lassen.
Ich wandere zurück zum letzten Büdchen, bedeute dem Herrn hinter der Scheibe, dass er doch bitte nochmal tätig werden soll, haue mit der Faust auf die Papierrückseite und reiche das Zettelchen durch. Er studiert’s, zückt dann den Stempel und stempelt – neben seinen letzten Stempel auf der Vorderseite und unterschreibt nach einem Blick auf die Armbanduhr. Nun, er macht’s eben anders. Denke ich und eile zurück zu meiner freundlichen Blondine.
Die schüttelt verzweifelt den Kopf: Nein! Hinten drauf! teilt sie mir unter Aufbietung aller schauspielerischen Kräfte mit. Wiederum hilft ein Wartender und kreuzt mehrfach die Arme vor der Brust. Aha! Im Häuschen an der Schranke wartet das Stempelchen auf mich. Also rein ins Auto, vorschriftswidrig gewendet und die 500 m langsam zurück Richtung Belarus. Am ersten Häuschen kommt mir schon im Stechschritt und mit dem Stempel in der Hand eine weitere Blondine entgegen. »Bagasch« herrscht sie mich an. Ich raus, mache zum dritten mal den Kofferraum auf. Und nun bekomme ich den roten Stempel (rot! wie süss!) von der harrschen Blonden auf’s Blättchen gehauen, kann wenden, alles abliefern und – weiterfahen.
Litauen hat mich wieder!
Puhhh! Der Rest der Fahrt bei fast keinem Verkehr wahr ein Erholung. Mittlerweile 15 Stunden am Steuer – aber »frei«.
Ich dachte immer, ich kenne mich aus in Vilnius. Aber eben nicht aus Richtung Minsk und bei Nacht. So lernte ich Gegenden kennen, wo ich noch nie gewesen war. Der Track vom GPS-Gerät am nächsten Tag erzeugt Kopfschütteln. Irgendwo habe ich eben wieder in der Dunkelheit das kleine Schildchen »14 Utena« übersehen…
Jedenfalls war ich dann gegen 03:30 in der Frühe im Bett.
Und was war eigentlich schön?
Ja, dazu später mehr…
Links:
Da wird mir beim Lesen schon ganz Angst und bange.