* Rund Europa 2011, 12. Tag: Aitoliko

Donnerstag, 2. Juni 2011 :: Aitoliko, am Abend
Montag, 20.06.2011, 17:32:09 :: Naxos, Azalas

Bei der Ankunft in Aitoliko standen wir zunächst vor verschlossenen Türen, trotz Email und einem Anrufversuch. Aber das ist eben so: In Griechenland regelt sich fast alles, irgendwie, irgendwann. So auch diesmal. Ein Anruf bei der Schwester in Naxos, der Rat, Dimitri auf dem Handy anzurufen und alles ist geklärt, Dimitri weiss Bescheid und ist schon auf dem Weg. »The greek way« eben.

Zunächst werden wir mit den frisch gepflückten Mandarinen zugedeckt und mit frisch gepresstem Orangensaft zugeschüttet. Dann gibt’s was völlig Unbekanntes: Cynar, wie Dimitri die stachligen Knospen nennt. Sie sehen etwa aus wie die Miniaturausgabe der Artischocke.

Cynar wächst lt. Dimitri und Flora nur in der Gegend um Aitoliko, vor allem im Delta. Und nachdem wir einige gezupft, gelutscht und den Blütenboden gekostet und für lecker empfunden haben, nachdem der Hinweis darauf, dass Cynar besonders gut zu Tsipouro schmeckt („Speschal“), mich an die Colaflasche mit eben einem solchen im Auto erinnert (aus Zitsa…), entschlosst sich Dimitri spontan, mit uns Cynar sammeln zu fahren, schnappt sich einen leeren Oliveneimer und eine große Schere und ab geht’s per Kleinlaster zu den Oliven.

Dass wir die Spontaneität in ihrer wahren Auswirkung unterschätzt hatten, war uns beim Einsteigen in den Kleintransporter von Dimitri nicht bewusst, wir hätten sonst mindestens eine Kamera und ein Ersatzbatterie mitgenommen…

Jedenfalls…

…ist von Kühen, Schweinen und Pelikanen zu berichten. Und das in einer Landschaft, die wohl nur kennt, wer dort seine Gärten hat, seine Olivenbäume oder von den wenigen Dörfern rundum dort zur kleinen Kirche kommt, wenn Feste gefeiert werden: Die Kirche der Dreieinigkeit – einen Blick hinter die Kulissen gibt’s, d.h. ins Allheiligste hinter dem vom Kirchenraum sichtbaren Altar und mein erste Kerzenspende, Weihrauch, Ikonen wie in Rumänien und Bulgarien. Und der Kirchenvorplatz als Veranstaltungsort für Dorffeste – eine Idylle. Man kann es sich vorstellen, unter den uralten Platanen, die einen riesigen Schattenplatz spenden vor dem Kirchlein, mit Bänken, Tischen – als ob es bald wieder los geht.

Die Flamingos sind schon weg. Sie haben wir vor zwei Jahren in Mesolongi stolzieren sehen in den Weiten der sich auch dort ausbreitenden Deltaseichte.

Über Kilometer ziehen sich Wassergräben weit zum Meer, auch quer. Dazwischen weiden Schweine, Kühe, Ziegen, Schafe. Gärten liegen dort, Felder – und Öde. Und eben auf dieser wächst der Cynar. Ohne Flaschen, nur die Distel. Die köpft Dimitris mit kritischen Blick. Das heisst, er hält den Eimer an einen Stamm und knipst mit der Schere die eine oder andere Knospe ab, die dann in den Eimer fällt; nach welchen Kriterien er die Knospen erschlisst sich mir nicht, selbst als der Eimer voll ist habe ich davon keinen Schimmer.

In den Olivenhainen

Siebenhundert Olivenbäume bewirtschaftet Dimitri, zusammen mit zwei albanischen Hilfskräften; neben den Mandarinen-, Orangen und Zitronenbäumen. Alle paar Tage brauchen die hunderte Liter Wasser, alles per gezielter Sprüh- und Tröpfchenbewässerung, betrieben mit einer riesigen elektrischen Wasserpumpe hier draussen in der Lagune. Ohne Wasser werden die Oliven kleiner oder gar zu klein; Essoliven sollen gross sein, brauchen zum Einlegen in Salzlake mit Essig und Öl eh‘ Wasser.

Und dass die dann mehr als lecker schmecken, das hatten wir vor drei Jahren bereis erfahren. Zwei neue Eimer, frisch angesetzt, stehen schon für uns bereit; ein nehmen wir mit als Proviant für Azalas.

Oekonomie-Misere im Kleinen

Das Geschäft ist auch nicht mehr das, was es mal war, als Wachstumsperspektive gar, auch für die beiden Söhne. Dimitri liefert Oliven nicht nur an die Ölmühle in Patras sondern auch eben als Essoliven in Mengen an die umliegenden »Supermärkte«. Nun können die nicht bezahlen, machen reihenweise dicht. So wird Krise sichtbar, fassbar, unmittelbar.
Dimitri hat einen nur kurz betriebenen Farbherstellungs- und Abfüllbetrieb gekauft, er möchte Veredlungsstufen draufsetzen auf seine gepflückten Oliven. Der Standort ist sehr dicht nebenan, günstig gelegen, nur: Die Altlasten, die er entdeckt, erschrecken. Nur kurz gewerkelt, aber eben eben ohne Kontrolle, wenn auch Auflagen. Ist das Grundwasser noch ok.? Wer entsorgt die enormen Farbreste? Wenn in Griechenland jemand bankrott geht ist offenbar niemand mehr verantwortlich.

Mit Einkommen…

…von 700€ im Monat, steigenden und überhöhten Preisen (Butter 5€, vieles doppelt bis dreimal so teuer wie in Deutschland), einer Umsatzsteuer von zur Zeit 23%, ohne medizinische Versorgung, geschweige denn einer Rücklage für die Altersversorgung, versorgen sich die Menschen zunehmend aus dem eigenen Garten, hier möglich, da Wasser genügend zur Verfügung steht. In den umliegende Bergen regnet es wohl derzeit noch hinreichend. Hellas steht wie die Baltenländer vor dem Drei-Jobs-Problem: Mit drei Jobs käme man über die Runden – wenn es sie denn gäbe… Und so treten viele Athener die Rückkehr auf die Dörfer an, wenn das möglich ist und familiäre Bande das möglich machen.

Weinprobe

Von den Ölivenbäumen zum Nachbarn, noch immer ohne Kamera – zum Verzweifeln. Dem Freund von Dimitri geht es offenbar besser, den wir anschliessend an unsere Safari in der Lagune besuchen. Er presst Trauben aus besten traditionellen Lagen, der Saft geht an Grossverwerter und Privatleute, die ihn zu Wein vergären und ausbauen. Wer eigene Reben hat, lässt die separat pressen und nimmt den Saft mit nach Hause zur Verarbeitung. Was dabei bei ihm selbst heraus kommt, verkosten wir, mit Dolmadakia als schneller Grundlage, denn es sind gehaltvolle Weine, rund, voll und einem Alkoholgehalt an der Obergrenze, wie er stolz erklärt. Und besonders sein privater Weisser, 600 Liter pro Jahr für die Familie und Freunde, hat es in sich. Dass er uns davon abschliessend eineinhalb Liter in eine obligatorische Plastikwasserflasche abfüllt, ehrt uns natürlich. Unsicher, was aus ihm werden mag auf der noch langen Fahrt über die Peloponnes, vertrauen wir die Flasche dem Auto an – Senfle wird sie schon durchschütteln und täglich kochen…

Nachtrag:

2011.06.20, 18:07 :: Die Flasche ist mittlerweile in Azalas geleert worden. Der Wein war jetzt etwas trockener: Ihr Inhalt hat etwas gelitten, die schon fast schwere Fülle war einer gewissen Säuernis gewichen, aber ohne den Genuss wirklich zu schmälern. Griechischer Wein eben…

Und so landen wir am Abend…

…in der Guten Stube von Dimitris resoluter Mutter, eingeladen zu einem Griechischen Abendessen – dass ich von den Fischen nicht esse, die variantenreich auf Platten liegen, das liegt nicht an diesen frisch gefangenen Teilen sondern wie immer an mir.

Und dann sitzen wir in der Gasse, Kinder tragen ihre Fahrräder an uns vorbei, weil eng, Nachbarn gehen grüssend und plaudernd hin und her und wir unterhalten uns über »die Lage«. Wir erfahren, wie die Menschen hier alles erleben, beurteilen, versuchen zurecht zu kommen. Und man erkennt: Wie immer sind es die »Kleine Leute«, die den Kopf für »die da oben« hinhalten müssen. Und Dimitri gelüstet es noch nach einem kleinen Souflaki; so setzt er sich ab zu seiner Männerrunde – ohne mich, ich bin pappevoll, Hotelzimmer-reif, müde…

Wir werden uns alle wieder sehen auf Naxos, wenn die Jungs alle Examensarbeiten geschrieben haben und im Hotel die Hochsaison beginnt: Dann ist Flora gefordert, mit Maria den Betrieb aufrecht zu erhalten. Er ernährt – anteilig oder nicht – mehrere Generationen und Familien.

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