Donnerstag, 28.07.2011, 18:46:49 :: Azalas
Ein bisschen über Marmor
Wie man einen Berg zersägt hatte ich im Mai 2005 so grob mitgeteilt, in der festen Überzeugung, dass dieser Mitteilung ein etwas ausführlicherer Beitrag folgen würde, mit all den Fotos – über Marmor, Abbau, Verarbeitung, Bedeutung in der Kunst… Ok., er kommt, aber eben sechs Jahre später…
Wir besuchten damals mit Ingbert Brunk zwei Marmorbrüche bei Kinidaros um zu verstehen und zu erleben, wie dem Berg die Marmorblöcke entrissen werden. Entreissen beschreibt natürlich nicht die handwerkliche Tätigkeit, bei der immerhin ein erheblicher Teil der Dorfbewohner ihr Auskommen findet. Danach waren wir mit ihm in »seinem« Marmorwerk, einer Quelle seines Urmaterials und auch einer seiner Arbeitsplätze.
Etwas Historisches
Der naxische Marmor ist hinsichtlich der abgebauten Menge und damit der wirtschaftlichen Bedeutung mit dem von Carrara in Italien oder auch den anderen Abbaugebieten in Frankreich, Portugal oder auch in Griechenland selbst (Drama, Kavala, Thasos oder Paros) von eher geringer Bedeutung, in seiner Beschaffenheit jedoch ist er einzigartig, auch schon in der Antike: Wesentliche Werke auf der Akropolis und auf Delos, dem gesamtgriechischen Heiligtum in der Ägäis, sind aus naxischem Marmor gefertigt und wurden daher unter grossem Aufwand von Naxos aus verschifft; den Aufwand mag man sich gar nicht vorstellen. Wahrscheinlich wurden die Teile, als Brocken oder schon bearbeitet, auf Seilen zwischen Schiffen transportiert – im Wasser wird alles leichter, im Mittelmeer mit seinem hohen Salzgehalt erst recht.
Spuren dieser Antiken Aktivitäten findet man auch heute noch auf Naxos: Die Kouri von Melanes und Apollonas, das Tempeltor nahe der Chora und viele Tempel und Türme (Demetertempel bei Sagri, Turm von Chimarou). Und wer durch die Dörfer in den Bergen geschlendert ist (Apiranthos ist da ein Paradebeispiel: Alles Mormor…), wer gesehen hat, wie sie an den Berghängen förmlich kleben in ihrer weissen Pracht (Koronos, Koronida, Skado) – dem wird schnell klar, dass dieser Marmor etwas besonderes ist. Mehr dazu bei Astrid Scharlau in ihrem bemerkenswerten Blog über Naxos – und nicht zuletzt über ihre Ferienhäuschen hier in Azalas, die ebenfalls komplett aus massivem Marmor gebaut sind.
Die Marmorbrüche…
…bei Kinidaros sind wohl die derzeit aktivsten Abbaugebiete auf Naxos.
Sie geben vielen hier Arbeit, harte Arbeit, sicher weniger hart als in den Tagen, an denen die heute üblichen riesigen Bagger und Frontlader nicht zur Verfügung standen und die Blöcke mühsam mit Bohrern, Keilen und auch der einen oder anderen Sprengladung gebrochen wurden. Gebohrt und gebrochen wird heute noch,…
…aber vor allem wird gesägt.
Doch dazu später mehr.
Wenn man sich den Brüchen immer mehr nähert verliert man irgendwie das Gefühl für Grössenordnungen, denn irgendwann sieht man nur noch Details:
Hier bekommt man dann auch eine erste Ahnung davon, wo wohl so manche Brunk’sche Skulptur ihren Ursprung gehabt hat: Die basaltischen und eisenoxidischen Einschlüsse und Bänder lassen die Phantasie loslaufen; aber nur, wenn man schon erlebt hat, was Künstlerhand damit anstellt. Denn was zu 08/15-Marmorplatten nicht taugt wird häufig zum entscheidenden Fundstück – entscheidend ist die Erfahrung, zu wissen oder zu ahnen, was drin steckt, dort im Gestein. Oft erlebt man ganz andere, wunderbare Überraschungen, als man es von der Bruch- oder Sägekante her vermutet hätte.
Zweikampf der Giganten?
Erst wenn man dann vor den Maschinen steht, wird klar, was hier bewegt wird.
Jetzt aber wird gesägt
Das Prinzip der Seilsäge ist sehr alt, bereits die Ägypter sollen sich mit Hanfseilsägen ihre Pyramiden zurechtgesägt haben. Gut, nicht aus einem Stück, aber Stück für Stück. Heute sieht die Gerätschaft eher unscheinbar aus, ja eigentlich unspektakulär – wenn man das Ende bedenkt: Ein zersägter Berg.
Hier zunächst das Maschinchen in Aktion, ein bereits anderweitig zurecht gesägter Block wird weiter zerlegt.
Hier nun die Details:
Die Säge fährt, dem Sägefortschritt entsprechend, langsam auf ihrer Lafette rückwärts. Am Ende angelangt, wird einfach das Seil verkürzt. Dazu brauchts nicht viel: Bolzenschneider und Crimpzange. Das Seil selbst ist letztlich eine Stahlspirale mit Hartmetallknubbeln, die ihrerseits mit Diamantensplittern gespickt sind.
Das ganze wir gekühlt und geschmiert – mit Wasser. Ein Schlauch steckt im Sägespalt und spritzt und kühlt da lustig vor sich hin.
Die Sägeflächen sind wie mit dem Küchenmesser geschnitten, aber Abfall gibt’s trotzdem eine Menge…
…bis der Klotz dann im Marmorwerk weiter zerlegt wird.
Eindrücke im Marmorwerk
Für mich faszinierend: Trotz dieser Brocken, der brutalen Gewalt der Gattersägen, die einen Block in riesige Plattenstapel zerlegen, der Kräne,…
…behält der Marmor eine Würde und Schönheit, im Detail, auf Flächen, an jeder Ecke und Kante. Nichts, keine noch so brachiale Gewalt schadet seiner Wirkung und Würde. Denn durch Gewalt ist er ja entstanden: Bei hohem Druck und hoher Temperatur, geschoben und gequetscht, geschmolzen im Erdinnern. Die Basaltbänder verraten es spätestens: Da drang Basaltschmelze in den Kalksteinbrei, Eisenodide wurden eingerührt und bilden heute diese herrlichen brauen, roten und gelben Schleier, die besonders im durchfallenden Licht diesen ungemeinen Reiz der Brunkschen Objekte ausmachen: Selbst durch drei bis vier Zentimenter dicken naxischen Marmor dringt das Licht und bringt den grobkristallinen Stein zum Leuchten.
Fazit
Der naxische Marmor, seit Jahrtausenden in Verwendung, ob als banales Baumaterial oder Grundstoff für Statuen, Tempelsäulen und -friese und eben auch einer reichhaltigen Kleinkunst (und von Touristennippes…) übersteht also einerseits lange Zeiträume, die Überreste auf Delos oder der Akropolis in Athen zeigen es. Athen zeigt aber auch, was Abgase in relativ kurzer Zeit vernichten können; Marmor mag nichts Saures… Der Streit um die Friesteile im Britsh Museum (Elgin Marbles) in London zeigen deutlich, welch verderblichem Einfluss die Geschwisterteile in Athen ausgesetzt waren. Autoabgase haben dort ganze Arbeit geleistet. Nun, irgendwann einigen sich die Museen ja vielleicht und man kann dann den Vergleich im neuen Athener Akropolismuseum direkt anstellen.
Vergänglichkeit
Und so kriege ich die Kurve zum diesjährigen 11. Naxos Festival, das gestern Abend (23. Juli) mit einer Vernissage und Ausstellungseröffnung im Pirgos Bezeos startete, wo wir im Mai 2007 ein wunderschönes Konzert erlebten. Decomposed Pictures, zerstörte Photos bzw. Negative aus den Archiv-Beständen des Benaki-Museums in Athen stellen die Basis des Themas und die ausgestellten Objekte der Ausstellung in den drei Stockwerken des Pirgos bei Sagri. Die Bilder verschmelzen zu einem guten Teil mit den engen Gemächern dieser ehemaligen venezianischen Klosterburg.
Nicht nur der Marmor wird zerstört und zerfällt, auch fotografische Negative und Abzüge, wenn sie falsch gelagert werden. Details verschwinden, werden unwiederbringlich zerstört. Aber es entsteht dabei zuweilen etwas Neues, Unerwartetes. Eine völlig neue Ästhetik zeigt sich in der Vergänglichkeit, schön zuweilen in den grazilen Mustern, fremd in der Wegnahme etwa eines Gesichtes: Ein Mann sitzt im Anzug an seinem Schreibtisch, er ist noch da, aber sein Gesicht kennen wir nicht. Andere Bilder erhalten durch die Zerstörung einen völlig neuen Inhalt, eine andere, selbstständige Bedeutung.
Ich lasse einfach einige Bilder wirken. Ich denke, das reicht.
Und zum Abschluss…
… – nein, kein Sonnenuntergang. Ein Blick vom Dach des Pirgos, in der Ferne die Chora von Naxos.
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