Samstag, 16.06.2012, 18:24:57 :: Jokkmokk im Hotell Gästis
Nördlich des Polarkreises
Geschafft. Immerhin. Und es hat gar nicht weh getan…
Der Ort mit dem seltsam anmutenden Namen Jokkmokk ist das Zentrum der sämischen Kultur in Schweden, die mehrere Schulen und Ausbildungszentren umfasst (Wikipedia). Er liegt ca. 3 km nördlich des Polarkreises. Aber das war ja erst am Abend. Fangen wir doch nach dem Frühstück an. Denn über das Frühstück im Hüttchen auf dem Campingplatz von Luleå gibt es nichts Nennenswertes (aber auch nichts Schlechtes) zu sagen. Über das Wetter allerdings nur Gutes, herrlichster Sonnenschein und Dekorationswolken.
Mittertag
Wir sind hier auf dem Campingplatz von Luleå ja noch lange nicht am Polarkreis; heute Abend vielleicht. Dennoch ist das Gefühl, nachts und nach Mitternacht die Sonne nicht so richtig los zu werden, seltsam und irgendwie erhebend – das Licht liegt auf dem Wasser, nicht Tag aber auch nicht Dämmerung. Erst der Morgen bringt wieder Klarheit, harte Schatten, eindeutigen Lichteinfall.
Wir verlassen unsere Reihenhüttenhälfte nach kärglichem Frühstück…
…in Richtung der Vorgängerin von Luleå…
…vorbei an einem riesigen Friedhof…
…und erreichen schnell…
…Gammelstad
Bitte nicht erschrecken: »Gammel« bedeutet im Schwedischen einfach »alt« und so ist Gammelstad eben die »Alte Stadt« und zwar von Luleå. Es lohnt sich, in Wikipedia nachzulesen. Gammelstad ist Weltkulturerbe, Kirchdorf und Opfer der Landhebung; es ist das Url-Luleå, kam aber durch nämliche Landhebung so weit vom Meer ab, dass der Hafen nutzlos wurde – ein neuere Luleå musste her, eben das heutige.
Was aber unmittelbarer interessant ist das Kirchdorf mit ca. 400 Hütten, um die mächtige Kirche geschart und wie gesagt unter UNO-Schutz. Wir waren zeitig dran an diesem Morgen, deshalb wurden wir Zeuge zweier Taufen, abgehalten von einer Pastorin, höchst fortschrittlich mit Sprechgarnitur ausgestattet. Was besonders auffiel: Wo sonst kniet der Pastor vor dem Täufling?
Und was uns auch auffiel: So langsam fanden wir immer häufiger fernöstliche Gesichtszüge in der Menge, schwarz statt der blond, ungewohnter Physiognomie. Nein, keine wild knipsenden Japaner. Wir werden daran erinnert, dass in den skandinavischen Ländern (und nicht nur dort) in den Nordregionen die Samen Zuhause sind, ein indigenes Volk, das die grenzenlose Weite des Nordens gewohnt war und in die politischen Gehege der nordischen Staaten samt Russland gerieten…
Kyrkstad – das Kirchdorf
Die Struktur der Hüttenansammlung in Strassen und Seitenlängen…
…wirkt sehr planvoll wenn man bedenkt, dass das alles nur der Unterbringung während des Kirchgangs gedient hat. Trotz Wasserversorgung…
…fehlte es wohl an so mancherlei, was bei der Ansammlung so vieler Menschen einfach nötig ist: Sanitäre Vorkehrungen, Feuerschutz…
Irgendwann haben die Autoritäten wohl die weitere Nutzung untersagt. Heute sind viele Hütten deutlich renoviert, alle wirken blitzsauber und in den Fenstern geschmückt,…
…wohl viele auch bewohnt. Ein kleines Museum, versorgt von einem älteren Ehepaar aus Stockholm, die früher hier gewohnt haben, zeigt anschaulich, wie hier gelebt wurde: Vom kratzig-wollenen Unterhemd über den »zentnerschweren« Bisam gefütterten Wintermantel eines offensichtlich wohlhabenden Gemeindemitglieds wundert man sich über vergangene Zeiten.
Dass die Menschen hier im Sitzen schliefen, war nicht der möglichen Zerstörung des Haargebäudes geschuldet sondern der Angst, im Liegen zu sterben.
Wo Glaubensdruck herrscht…
…da gibt es auch Abweichler. Sie haben dann eben kein imposantes Gotteshaus sondern treffen sich heimlich in einer Hütte und sitzen auf Balken ohne Lehne – einer besseren Aufnahme entzog sich der klandestine Ort.
Offensiver geht’s…
…bei den Souvenirs zur Sache: Lappländische (muss ich schreiben: samische?) Künstler und Kunsthandwerker, heimarbeitende Strickerinnen und wohl auch so manches Chinakuschelrentier ist da im Angebot.
Ein Künstler fiel uns auf. Wir fanden eine gewisses Verwandtschaft mit den Marmorobjekten unseres Freundes Ingbert auf Naxos.
Lis denkt wohl mehr ans Zipperlein und lässt sich die Rentierfelle ausbreiten.
Nachtem wieder das eine oder andere Mitbringsel für die Lieben zuhause gefunden wurde, brauchten wir eine Stärkung. Die liefert das Besucherzentrum…
…wo dann die freundliche junge Touristenberaterin verzweifelt nach englischen oder gar deutschen Broschüren für mich in die Regale und Schränke taucht – vergebens. Entweder es gab sie nie oder ein Schwarm Deutscher im letzten Jahr hat sie alle konfisziert. Aber hier noch mal das volle Ausmass:
Den Besuch…
…des angeschlossenen Heimat-Freilichtmuseums haben wir vor Entrichtung des Eintrittsgeldes abgebrochen – mittlerweile waren die Busse angerückt…
Nächstes Ziel: Jokkmokk
Aber was ist ein Ziel ohne Weg? Der führt uns im Flusstal nach Nordwesten. Mückengeplagt bahnen wir uns den Weg zu Fuss an so manchen See oder Fluss, durch Moos und Beeren-, Farn- und Schachtelhalmgestrüpp,…
…lassen Wolken fotogen an uns und vor uns vorüberziehen, Wälder und Wiesen nicht minder – es ist so gut wie kein Verkehr, nur wir natürlich.
Unser erstes Rentier…
…ist zwar nicht von Pappe, aber das Naturfeeling stellt sich dabei noch nicht ein. Das sollte noch kommen.
Wir freuen uns über jede versteckte Kirche…
…und wundern uns über die fast durchgängige rot-braune Architektur an allen Ecken.
Zuweilen notwendige Pausen…
…laden zum Findlingezählen ein…
.und unser Forscherdrang lässt uns die Stelle finden, wo eins die Lachsfischer ihren Lebensunterhalt verdienten und via Hanse Europa mir Einweiss versorgten. So die Infotafel.
Heute ziert ein Wasserkraftwerk diese Stelle.
Klägliche Reste des ehemaligen Flusstals und der alten Reusenbrücken bleiben zurück.
Und dann die Sensation:
Uuser erstes Rentier, erlegt in freier Wildbahn nach allen Regeln der Optoelektronik. Das er sich gar nicht um uns kümmerte war schon fast beleidigend. Die Tiere leben wie Haustiere in freier Natur.
Nach weiteren Seen…
…und so weiter und so fort war es dann endlich so weit:
Polcirkeln,…
…der Polarkreis lag nicht wie erwartet am Wegesrand in dieser 180 km breiten Zone, sondern 180 Meter weiter nördlich (als Google Earth angibt); ich halte das für verzeihlich…
Senfle hat sich mit der Schnauze dicht an die Linie heran geschoben, die uns von dem Land der ewigen Sommersonne trennt. Architektonisch sehr nett gemacht ist die Linie symbolisiert, die auch durch den Symbolbau führt, auf dessen Gebälk sich Besucher (wie eh und je) verewigen.
Und nach innigen Anläufen haben wir auch dieses friedlich Bild für’s Familienalbum noch geschafft.
Jedoch, wir waren nicht alleine. Auch ein französisches Paar überschritt die Linie, aber in der umgekehrten Richtung.
Und dann, nach ein paar Kilometern schon, erreicht man Jokkmokk, eine Stadt mit Kirche, Döner-Pizza-Sonstwas-Restaurant, einem Hotel und Menschen in Lappentracht.
Aansonsten nichts los, wir hätten uns gerne irgendwo dazu gesetzt.
Tagesleistung, Tracks & Links:
- 2012-06-16;183;02:52;05:21;108;63.9;22.3;Lulea-Jokkmukk
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