* Rund Europa 2012, 39. Tag: Riga – Raudondvaris

Montag, 09.07.2012, 19:11:42 ::
Dienstag, 10.07.2012, 09:41:16 :: Raudondvaris

Ziel erreicht

Unser Appartement – in der Mitte – vom Balkon des Wohnturms

Blick aus dem Appartement auf den Wohnturm

Das Endziel der ersten Hälfte unserer Rundreise haben wir gestern Abend erreicht: Raudondvaris, das Dorf ohne Zentrum, aber mit dem Reiterhof Civinskų Žirgai unserer litauischen Freunde, dem Bokštas und unsere Unterkunft, von der wir nicht wussten, ob sie frei sein würde. Informationen fliessen zuweilen dürftig, aber es klappt trotzdem immer.

Riga verlassen wir am Morgen…

…nachdem wir uns nach kleinem Frühstück mit unserer Freundin den Bauch mit Erdbeeren vollgeschlagen haben. Die Fahrt heraus aus der Stadt zeigt uns noch einmal, wie verzerrt die Wahrnehmung einer Stadt ist, die keine Chance hat, aus der Armut aus der postsowjetischen Zeit heraus zu kommen, trotz all der Segnungen, die der westliche Konsumterror über sie ergiesst.

Gerade Lettland mit seinem hohen Anteil (knapp 30%, offiziell!) an russischen Bürgern, mit nicht mal 2.3 Mio Einwohnern insgesamt und ohne den unterstützenden Einfluss eines Nachbarlandes (z.B. Finnland in Estland) steht voll unter der Spannung zwischen EU und Russland. Die Letten fühlen sich von Europa alleine gelassen, nach wie vor sind viele davon überzeugt, dass es ihnen vor der Westintegration besser ging, dass der Euro ihre Probleme nur vergrössern würde, dass die EU ihre Kultur, ihre nationale Identität zerstört – wohl das Problem aller kleinen Völker und Minderheiten. Sie erkennen sehr klar, dass sie untergehen, wenn sie diese Identität verlieren. Dass an dieser Zerstörung der nationalen Kultur sowohl die EU als auch Russland arbeiten, ist da kein Trost. Und da wohl die Hilfsangebote Russlands deutlich grosszügiger ausfallen als die der EU, erhöht die Verlockung, sich alter Zeiten zu erinnern und mit ihnen zu liebäugeln.

Hher zeigt aber zugleich auch die völlig falsche Politik der Eu und insbesondere der reichen Mitglieder: Europa besteht nicht nur aus Exportweltmeistern und Sprachschulmeistern sondern eben auch aus Verlierern, die nie die Chance haben werden, egal mit welcher Anstrengung, das Niveau der grossen Industrieländer zu erreichen (vergleichbare Verhältnisse haben wir innerhalb Deutschlands mit den ärmeren Bundesländern! Niemand kommt auf die Idee, sie auszugliedern). Es fehlt nicht am Willen sondern an den Voraussetzungen: zu klein, zu warm, zu viele interne Probleme, die keiner löst, auch die deutschen Rechthaber nicht. Und gerade Lettland erinnert gar nicht gerne an »die Deutschen«, Deutscher Ritterorden, Gutshofbesitzer… Nicht umsonst heissen die Deutschen bis heute ach im Litauischen »die Helmträger«.

Die europäischen Macher, Politiker wie Finanz- und Wirtschaftsbosse, müssen aufpassen: Europa zerfällt an den Rändern leicht und schnell wieder, wenn nicht der politische Gedanke und Wille die Oberhand erhält; derzeit ist es leider nur der wirtschaftliche. Menschen grenzenlos reisen lassen genügt nicht: Das Geld dazu fehlt bereits, ebenso oft auch für das Nötigste, besonders im ländlichen Raum. Und in den Metropolen explodieren die Preise, die gut Ausgebildeten fliehen ins Ausland oder sie züchten Schweine und Milchkühe – zu wenig für eine Teilnahme am gemeinsamen Markt (der eben in Wirklichkeit keiner ist, s.a. Rumänien und Bulgarien).

Ok., das kommt einem eben erst, wenn man Realität erlebt…

Flussfahrt, entlang der Düna

Nein, nicht auf. Aber wir entscheiden uns, nicht auf direktem Wege nach Vilnius zu fahren, sondern die Düna oder Daugava entlang bis Dünaburg oder Daugavpils zu fahren, eine Strecke, die in jedem Falle eindrucks- und reizvoller ist, als schnurgerade über Land. Das wissen wir nur zu gut, es ist das vierte Mal, zuletzt im Juli 2010 (Nebenbei zeigt sich, was ich noch alles aufzuarbeiten habe, z.B. die Besichtigung der riesigen Zitadelle).

Quelle: Wikipedia

In vielen Orten, die wir passieren (z.B. Jekabpils), wird immer noch feste restauriert und ausgebessert. Die Gehsteige sehen mittlerweile wirklich überall gleich aus in Europa; die Hersteller der Euro-Pflastersteine müssen sich dusslig und dämlich verdienen. Aber der ursprüngliche Charakter der Orte ist futsch…

Manche Strasse über Land nehmen wir dankbar an, Staubstrassen sind weniger geworden. Ein Besuch in Zarasai fällt aus, unsere Freundin dort, verheiratet in England, kommt erst am 18. Juli nach Litauen. Na gut, man muss sich ja was aufbewahren für die kommenden Wochen… Die Geschichte Zarasais lohnt sich übrigens zu lesen. »Wir« waren dort und haben uns mal wieder besonders tapfer verhalten – ein Bespiel für viele im Baltikum. Alleine die Geschichte der Juden im Baltikum… Ich schweife ab.

Die letzten rund hundert Kilometer…

…gehen in Berg- und Tal-Fahrt durch Wälder und Wiesen, die Storchennester werden häufiger, die Grenzstadtionen zwischen Litauen und Lettland sind nun völlig verschwunden, der Euro-Sternen-Kringel und die Verkehrsbedingungen sind als einziger Hinweis geblieben, dass hier eine Grenze verläuft. Und die Apfelbäume. Die Fehlen ab der Grenze nach Litauen völlig. In Lettland, bis zur Grenze, gibt es Apfelbaumwiesen wie im Schwäbischen… Dafür kommen jetzt wieder mehr Kirchen.

Irgendwann meldet sich dann auch der Körper

Und braucht was.

Und wenig später kommt man dann an

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