* Rund Europa 2012, 38. Tag: Gulbine – Riga

Sonntag, 08.07.2012 :: Gulbene – Riga
Montag, 09.07.2012, 00:04:15 :: Riga
Sonntag, 15.07.2012, 13:26:26 :: Raudondvaris

Nach den Ereignissen am Vortag (Teil 1) und (Teil 2 des Ausflugs) war ausser Aufstehen, Schwimmen, Frühstücken und Rückfahrt eigentlich nichts mehr zu erwarten. Ohne Agrita, aber nicht mit. Denn sie hatte schon wieder x Vorschläge, was so auf dem Rückweg interessant sein könnte.

Und so ging’s nach dem Frühstück los. Über die Dörfer…

…durch alte Eichenalleen…

…und durch die Felder.

Agrita erklärt…

…warum Landbau im grossem Umfang hier nicht stattfindet. Die Felder sind zu klein, das Land zu hügelig – im Gegensatz anderen Landesteilen, die grosse ebene Flächen aufweisen. Der Anbau war und ist schwierig, es gab nie genügend Traktoren, das wirtschaftlich im grossen Stil zu betreiben. Mit Zugtieren nicht leistbar. Die alten Kolchosen zerfielen aus diesem Grunde schnell nach der Wende.

Sie sagt, es tut ihr weh, wenn sie sieht, wie seit ihrer Kindheit (sie kommt vom Lande, ihre Mutter quält sich dort heute noch mit Gärtchen, Kuh und ein paar Hühnern) passiert. Und dennoch: Es gibt Dörfer, die leben. Im einen ist die zentrale Schule untergebracht, in einem anderen befindet sich die Milchsammelstelle, man stellt Trinkmilch, Joghurt und andere lokale Produkte her; aber es ist mühsam…

Uursprünglich waren das fast immer (deutsche) Gutshöfe. Ich denke, wenn man nur die Mägde und Knechte durchzufüttern hatte, ging’s wohl recht gut, den jetzt zerfallenden Herrensitzen nach. Und wir sehen davon noch einige heute…

GGemüsegärten, gepflegte Vorgartenrasen, Windmühlen und Storchennester: Hier wird gelebt. Vor einer Schule herrscht literarisch-theatralisches Kindergewimmel. Der Wille zum Überleben ist stark. Und Agrita sagt, dass diese Dörfer teilweise landesweit hochgehaltene Traditionen haben und pflegen: Die einen haben bekannte lettische Schriftsteller oder Musiker hervor gebracht, andere sind berühmt für die Pflege der Volksmusik und anderer Traditionen, die wichtig sind für ein kleines Volk, eine Nation, die droht, zerdrückt zu werden zwischen Europa und Russland. Andere Flecken sind bekannt für ihre Milchprodukte, s.o. Aber für Touristen? Was will man TV-Tailaland-GeschädigtenVerwöhnten da bieten?

Wie das alles trotzdem funktioniert? Agrita lacht: Ihr Vater habe immer gesagt, er sei dreimal in seinem Leben arm geworden. Aber solang man einen Garten und eine Kuh hätte würde man überleben.

Als nächstes besuchen wir nun einen Wasserteufel,…

…einen ganz lieben. Einer Sage der Umgebung nach hilft er armen Frauen gegen ihre saufenden und prügelnden Ehemänner; sagt eine Infotafel über Teufel und den Schriftsteller, der die Geschichte thematisiert hat. Und wofür er von meinen beiden Damen regelrecht geherzt wird.

Sie betonen aber beide unisono, dass das mit mir nichts zu tun hat.

Weiter über die Dörfer

Iirgendwann verfransen wir uns, trotz Karten, GPS und kenntnisreicher Agrita. Wir landen auf Sandpisten,…

…oft über 20, 30 Kilometer. Scheiben hoch und Lüftung aus, wenn Gegenverkehr. Unmittelbare südeuropäische Temperatur im Auto. Wenn der Staub sich verzogen hat, alle wieder zurück… Senfles Federn werden wieder einem strengen Test unterzogen.

Gutshaus einst, Kolonialwaren heute…

…oder Schule? Wer weiss.

Hier mal ein ergötzliches Original-Osteuropa-Eis, wie es wohl schon zu Vorwendezeiten üblich und durchaus ess- und geniessbar war: 13 Cent kostet diese Köstlichkeit auch heute noch. Schmeckt. Ist kalt. Nur ohne Guss und mittlerweile in Plastikhaut statt Butterbrotpapier wie von 10 Jahren…

Vor verschlossenen Toren…

…stehen wir, als wir ein besonders grosses ehemaliges Schloss besichtigen möchten. Die Ruine liegt in einem riesigen gepflegten Park,…

… aber wir stehen draussen. Nach einem Anruf von Agrita beim Verwalter öffnet sich uns eine Seitenpforte: Der Gärtner bietet freies Flanieren, romantische Bootsfahrt – während er mit einem Kollegen zusammen bei heissen Klängen aus dem Gettoblaster die fort kurzem verlegten Pflastersteine wieder entfernt.

Da war wohl was falsch gelaufen, erfährt Agrita. Ausserdem: Ein Privatmann aus der Nachbarschaft hat das ganze Anwesen erworben, den Park saniert, die Teiche.

Nur die alten Haupt- und Nebengebäude, die haben noch Bedarf an renovierenden Eingriffen.

Auch scheint das alles nicht einfach so zerfallen zu sein. Die Brandspuren an den Fensterrahmen sprechen da was anderes…

Aber generell darf hier jetzt jeder wandeln, wie er will. Nur heute, am Sonntag, da kommt normalerweise keiner. Da wollen sie arbeiten…

Zunächst hat der neue Hausherr sich eine neue Dependance und einen Grillkamin erbauen lassen. Nicht sehr stilsicher, aber o.k., es ist ein Anfang.

Wesentlich älter…

…sind die Überbleibsel (nicht deren Rekonstruktionen) von Āraiši: Pfahlbaudorf, steinzeitliche Inselsiedlung und Burg – alles am selben Platz. Alles da – auch die Kasse hat geöffnet, 1 Lats pro Rentner (1,44 €).

Man kann den Eindruck haben, dass sich die Holzbauweise bis heute nicht wesentlich verändert hat. Warum auch, wenn’s damals schon ok. war?

Unser neues Eigenheim?

Allerdings, autotauglich waren die Strassen und Gassen noch nicht, auch Strassenschilder fehlen… Dafür finden die Damen in den ausufernden und hohen Wiesen kosmetische Hilfestellung – oder Anleitung, keine Ahnung.

Ich begebe mich derweil auf die

Mädcheninsel

Dort gibt’s neben dem unverletzten und missbrauchten Original…

…zwar keine Mädels, aber allerhand anderes.

Naja, schon, aber… – märchenhaft ist es dort schon.

Abends da, total geschafft…

…geniesse ich ausgiebig den Ventilator, den Agrita, wissend, dass ich gegen höhere Temperaturen und so, von einer Freundin über’s Wochenende ausgeliehen hatte. Und den Sonnenuntergang, diesen unwirklichen – Weisse Nächte.

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