Freitag, 28.06.2013, 15:48:54 :: Zitsa, Ruhetag
Heute Morgen in Zitsa
Zugegeben, das Bett knarrte und war zu schmal für Zwei, mein Leinenschlafsack zu kurz für mich (was ich erst jetzt, in der Nacht, merkte) und es wurde richtig kühl. Die Nacht war also etwas ungemütlich, viel Schlaf war nicht.
Aber nach dem Duschen runter in die Bäckerei – das ist ein Duft! Brote, gerade aus dem Ofen, ein Kruste und – was sicher für Griechenland eine Seltenheit ist – es gibt Sauerteigbrot, durchgebacken mit Kruste.
Kostas experimentiert mit Weintrauben als Basis, vermengt mit Mehl. Und, wie er gestern Abend berichtete, die Einheimischen gewöhnen sich daran, daß es nicht nur Weißbrot gibt, griechisches, versteht sich, das auch sehr gut ist, wenn der Bäcker sich Mühe gibt. Selbst auf Naxos schafft das aber nicht mehr jeder. Weiter erzählte Kostas, dass er in Paris war im April, zur Weiterbildung. Baguette ist also jetzt auch in Zitsa ein Begriff.
Krise auf dem Dorf?
Nicht wirklich. Kostas bestätigt, was wir auch immer wieder beobachten: Auf den Dörfern und in den kleinen Städten ist die Situation anders als in Athen. Selbst in Ioaninna sei es schon besser als in den Metropolen. Der Grund ist so einfach wie logisch: auf den Dörfern gilt die Nachbarschaft noch etwas, fast jeder hat einen Garten, Felder, die ihn ernähren können. Das Haus, egal in welchem Zustand, bietet ein Dach über dem Kopf.
Die Banker berichten, dass die Menschen im Epirus das Geld zusammen gehalten haben, leichtfertige Ausgaben und Kredite sind nicht ihr Ding. Und so sind die Mittel zum Renovieren vorhanden. Ja, Geld ausgeben wird so zur Freude und zur Hilfe. Denn es hilft zum Beispiel dem Schreiner im Dorf, der die neuen Fenster und die Holzregal für die Bäckerei liefert.
Das heiß nun nicht gleich „alles eitel Sonnenschein«. Sicher nicht. Aber das Leben hier scheint normal, unser Gang durch’s morgendliche Dorf verrät nichts vom „griechischen Untergang«. Was uns nun wiederum nicht beruhigen sollte. Die Sorgen sind trotzdem da…
…auch wenn die Apotheke jeden morgen öffnet (was manchen deutsche Dorf nicht schafft!) und die Müllfrage sorgfältig geklärt ist.
Die Kirche…
…ist aussen wie innen mit viel Liebe gepflegt. Allerdings: Die Pflegerin verweigert mit einem klaren OXI! das Photo im Inneren. So bleibt nur der kleine Nebentempel des Ortsheiligen, wie ich vermute.
Dass der Tourismus, auch aus Deutschland, wieder angezogen hat, lässt hoffen. Und uns fürchten, wir brauchen schließlich einen Platz auf der Fähre nach Naxos in ein paar Tagen. Aber der Tourismus wird den grundsätzlichen Mangel hier nicht beheben.
Kein Mangel…
…herrscht hingegen an Sonnenlicht. Und an der elektrischen Energie, die es draußen auf dem Solarfeld produziert. Eine italienische Firma hatte es für das Dorf geplant. Und es arbeitet. Zu gut. Denn nun stellt sich heraus, dass mehr produziert wird, als Zitsa verbraucht. Was also tun? Wir erfahren es heute morgen, denn um 9 Uhr wird der Strom für ein paar Stunden abgestellt.
Eine neue Leitung wird angeschlossen, die die überschüssige Energie ins allgemeine Stromnetz einspeisen soll.
Deutsche Griechen …
…oder griechische Deutsche? Das fragen wir uns nach dem Besuch im kleinen Kafenion vorne an der Ecke. Der Innenraum voller alter Männer – also Männern, die sichtbar älter sind als wir, ok. …
An den Tischen draußen sitzen hinten in der Ecke vier junge Leute, die uns daran erinnern, wie hoch die Jugendarbeitslosigkeit in Europa ist, am mittleren Tisch ein Herr, Zeitung lesend und wir am letzen freien.
Nach einer Weile, er hat wohl unsere Unterhaltung mitgehört und wie sich herausstellt, auch bestens verstanden: Wo wir herkommen aus Deutschland? Die ständige Frage, wenn wir versuchen, uns „unter’s Volk zu mischen«. Er hat viele Jahre in Nürnberg gelebt, wie viele, lässt er uns raten; wir liegen kräftig daneben, trotz mehrfachem Raten. Über vierzig Jahre. Zunächst bei BOSCH, dann hat er ein Lokal eröffnet und bis zum Schluss geführt. Mit freiem Mittagstisch im Nebenraum für »Penner«, wie er dieses nicht geringschätzig nennt. Tochter Beamtin in Berlin, Sohn Lehrer in Nürnberg, jetzt hier in Griechenland, auf Lefka – unserem Ziel morgen. Und (bewusst) für weniger Geld, versteht sich. Ich frage ihn, ob er das „Edelweiss«, ein griechisches Lokal in Nürnberg kennt, in dem wir viel zum Essen waren, die Besitzerin, die wir aus den Augen verlorenen haben und deren Sohn Arzt am Klinikum Nürnberg war, kam aus einem Dorf hier bei Igoumenitsa. Gejohle. Natürlich kennt er die. Und so weiter. Wir erfahren eine Lebensgeschichte, die mit seinem Lebensabend hier in Zitsa noch nicht zuende ist. Wir reden über Ausländer (wer ist das nicht irgendwo?), über Fehler machende Politiker hier wie dort: Deutschland 10%, Griechenland 60%, wie er meint, während er sich sichtlich für „sein Land« in Begeisterung redet. Für Deutschland wohlgemerkt. Seine Heimat aber sei Griechenland, das merkt er dann doch noch an. Damit auch das klar ist.
Schulterklopfend stellt er zwei weitere Herren vor, die zunächst schüchtern lächelnd das innere des Lokal verlassen, um nach hause zu gehen, die Siesta beginnt, oder die άσπÏο νÏχτα, die dann aber doch stehen bleiben, von unserem Nürnberger Griechen nachgerade gezwungen. Achtzig der eine, erzählt er dann in gutem Deutsch, bei BEHR in Feuerbach war er beschäftigt, zuletzt in Mühlacker, das Ludwigsburger Krankenhaus hat ihn mehrfach unter seine Fittiche genommen.
Alles Zufall?
Zitsa einzige Kolonie heimgekehrter griechischer Gastarbeiter? Nein. Ganz sicher nicht. Es ist Geschichte, die noch lebt, weil die Beteiligten noch leben: weit über siebzig, oft über achtzig. „Griechische Gastarbeiter«. Die in Deutschland gearbeitet haben, oft geschuftet, zurückhaltend waren, deutsch gelernt haben, möglichst keine Fehler machen wollten. Die aber auch, das bitte nicht vergessen, zusammen mit spanischen, türkischen und nicht zuletzt deutschen Kollegen und Kolleginnen anständige Lohnerhöhungen erstreikt haben. Das gab es mal, Gewerkschaften, die auch von der Kraft dieser Menschen gelebt haben und so. Alles vergessen? Wie passt das alles zu den Vorurteilen, die deutsche Politiker und deutsche Edelpresse uns in der Krise versuchten, ins Hirn zu pressen? Und das auch noch schaffen. Armes Deutschland.
Nachtrag:
2013.06.30, 23:00 :: Ich hatte vergessen zu berichten, dass wir vor dem Besuch des Kafenion in einem der drei nebeneinander liegenden Kolonialwarenläden einkaufen waren. Getränke, Wurst und so. An der Kasse fragt uns die Besitzerin bevor sie anfing einzutippen in bestem Deutsch ob wir Deutsch sprächen. Ah, hätte sie sich gedacht. Sie sei bei Frankfurt geboren und aufgewachsen, bis zum 13. Lebensjahr, ihr Bruder sei noch dort, sie aber jetzt hier in Zitsa verheiratet und Kinder und so.
Am nächsten Morgen, kurz vor unserer Abfahrt, gehe ich mal zu ihr in den Laden. Ich möchte von ihrte wissen, ob zier denn gerne wieder zurück nach Deutschland ginge. Das sei nicht möglich, wie gesagt, verheiratet, die Kinder… Ich biete an, sie könne alle mitnehmen – sie lehnt dankend ab. Hier sei es schöner.
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Schön zu lesen Dein Bericht, Reinard, sehr informativ. Gruss von Erich aus Tonga