Freitag, 08.08.2014, 15:46:52 :: Hotel Zamek Reszel
Es fing damit an, dass es nicht richtig hell werden wollte; wenn man gut geschlafen hat, dann schläft man da ja gerne weiter. Aber grundlos wird es nicht nicht hell. Als dann der Donner sein grosses Blech schüttelte und der Regen zu prasseln begann da überlegte ich mir, was werden sollte und sofort kam mir der Gedanke: Nicht weiterfahren – liegen bleiben! Und so wurde heute der an sich letzte Reisetag zum ersten Ruhetag.
Mir fiel auch auf, dass der Donner hier anders klingt als gewohnt, er findet wohl keinen Widerstand, an dem er sein Echo erzeugen könnte, hier oben im der flachen Landschaft Nordostpolens. Da sind wir, in Rössel oder Reszel. Die Burg ist Besucherattraktion, Restaurant, Künstlertreff und Galerie – und eben auch Hotel. Kultureller Schwerpunkt hier nördlich der grossen Masurischen Seen. Von daher heisst »hier festsitzen« nicht versauern, es gibt genügend zu schauen, zu bestaunen und zu entdecken. Und für diejenigen, die so langsam einen Reisebeitrag erwarten, springt auch etwas heraus.
Der Tip mit Rössel stammt von einer Freundin aus Berlin. Da waren wir ja auf dem Weg hier hoch auch schon. Das ist und wird (hoffentlich) eine andere Geschichte, mein erster Besuch in Berlin Mitte…
Interessant, dass offenbar Künstler resp. Schriftsteller, die ihre elterlichen oder grosselterlichen Wurzeln hier in Masuren haben, eine Vorliebe für Naxos entwickeln – jedenfalls kennen wir zwei davon…
Turmbesteigung
Dass das Restaurant hervorragend ist, konnten wir schon gestern beim Abendessen feststellen. Das Frühstück heute Morgen stand dem in nichts nach, frisches Omelett in einer Tour, Lokales, Deftiges…
Danach entschlossen wir uns zur Turmbesteigung. Das war der richtige Zeitpunkt, denn als wir oben waren strömten die Touristen und Jugendgruppen die Burg und natürlich den Turm, der innen nur in jeder Etage geräumig ist, nicht aber auf den Wendeltreppen dazwischen.
Die Ausblicke auf jeder Etage wären bei etwas Sonnenschein natürlich um ein Vielfaches beeindruckender gewesen, aber einem Ritter in voller Rüstung hätte das kühle Wetter heute sicher auch gut gefallen – so wie mir. Turmbesteigung in der Augusthitze ist meine Sache nicht. Im Übrigen: August, das heisst hier oben ja doch vielfach schon Herbst. Hoffentlich nicht in dieser heutigen Form. Ein paar schöne Tage wünschen wir uns schon noch.
Galeriebesuch
Nach einer Cappuccinopause und einem Snack auf dem Zimmer, bei dem ich nebenher anfange zu schreiben, war dann auch schon Nachmittag. Apropos Snack: Würste können sie in Polen, selbst die abgepackten von Lidl (!!!) sind ausgezeichnet. Aber sie müssen weg, ebenso die Brötchen. Wenn man die bei Sonnenschein tagelang im Auto spazieren fährt, dann werden sie irgendwann ungeniessbar. Ach ja, und die Bananen kommen auch hier nicht aus Russland sondern aus dem Chiquitaland Panama. Zufall eben… 😉
So. Die Galerie, die aktuelle Ausstellung. Die beiden Räume befinden sich in der seitlich angebauten (ehemaligen) Kirche. Deren Fenster hat man zum Teil zugemauert und eine Decke eingezogen so dass zwei schöne grosse Räume übereinander entstanden sind. Dass nur Hängungen an den langen Wänden vorgenommen wurden, ist schade, ein paar Skulpturen hätten sich gut gemacht. Ansonsten ist die Ausstellung, die von nur einem polnischen Künstler beschickt ist – vor allem in der oberen Etage – aggressiv, politisch provokant aber sehr offen und vor allem nicht beschönigend und wahr. Zuweilen scheint für mich Otto Dix durch. Und Roger Waters »Home for incurable tyrans and kings«…
Auf den grossflächigen »Wimmelbildern« kann man lange verweilen, immer wieder Neues entdecken, Politik und Geschichte passieren lassen und sich auch amüsieren; wer’s braucht, darf sich auch entrüsten.
Gang durch das Städtchen
Reszel, deutsch Rössel, hat sicher bessere Tage gesehen. Die Einwohnerzahl lag schon mal höher als die der regionalen Hauptstadt Olsztyn, deutsch Allenstein.
1656 und 1704 wurde Rößel von den Schweden besetzt und war 1772 mit etwa 3030 Einwohnern nach Braunsberg und Heilsberg die drittgrößte Stadt im Ermland, noch größer als Allenstein (1770 Einwohner).
Aus dieser Zeit ist wenig übrig geblieben. Die Strassenzüge wirken traurig, trotz hier und da renovierter Häuser. Nur die mächtige Kirche sticht heraus. Innen ist sie prächtig aber düster. Das passt zur äusseren Backsteinbauweise.
So vergeht ein Tag
Man kann nicht sagen, ein Regentag in Masuren wäre langweilig oder gar »tödlich«. Beileibe nicht. Apropos Leib: Wir gehen jetzt essen. Das gute Restaurant unten, ihr wisst schon…
Lieber Reinard, ich habe Deine neuen Blogbeiträge wieder mit Interesse gelesen. Ich dachte spontan: „Die Nachtigall singt wieder!“ Wie schön. Gruss Helmut