Samstag, 02.07.2016, 21:15:11 :: AizputÄ“, Lettland :: Gästehaus MÄ“tras MÄja
Montag, 11.07.2016, 12:43:01 :: Raudondvaris
Also: Sich an einem wunderschönen Morgen von einem Schloss wie Jaunmoku pils, seinem Park und seinem See zu trennen, das fällt schwer. Wir waren hier gestern Abend ja vorgefahren mit unserer Limousine um uns dieses Jagdschloss einfach mal anzusehen und um dann spasseshalber nach den Preisen zu fragen – aber das war gestern Abend, ein anderer Beitrag.
Nur so viel: Sie wollen 50 €/Nacht und Doppelzimmer. Und das Frühstück war so exquisit wie gestern das Abendessen. Lettländische Preise bei unvergleichlich höherer Leistung entspricht uns weit mehr, als die skandinavischen – zwischen Preis, Leistung und Erlebnis besteht eben keinerlei Zusammenhang, nicht mal in Euro-Ländern; eines der Probleme, das unsere EU-Politiker und vor allem die in Berlin einfach nicht lösen wollen.
Es wäre heute Morgen also ein weiterer Pausentag ohne weiteres drin gewesen. Es ist aber Reisewetter und wir wollen langsam doch ans Etappenziel kommen, ich geb’s ja zu.
So bleibt es vor dem Frühstück bei einem Morgenspaziergang durch den Park mit seinen mächtigen Eschen, Ahornbäumen und blühenden, duftenden Lindenalleen; nicht zu vergessen die vielen riesigen Holzfröschen, die überall in den Wiesen und hinter Bäumen lauern. Lauern tun allerdings auch Mücken und Bremsen…
Reisewetter bei 30 Grad?
Es wird der heisseste, der schwülste Tag bisher. Bei der Ankunft leiden wir echt und sind völlig erschöpft.
Aber es ist zu einem grossen Teil auch eine 10-Jahre-Kurland-Gedächtnisfahrt: Auf unserer Lettlandrundreise 2006 hatten wir zum Teil dieselben Strassen unter den Reifen.
Wer Lettland und insbesondere Kurland genauer kennenlernen möchte, der kommt um Festungen, Schlösser und Herrenhäuser der Livländischen Oberschicht nicht herum, sprich: man sollte sich die anschauen. Dasselbe gilt auch für Estland, aber in geringerem Masse, in ganz geringem Umfang gilt es natürlich auch für Litauen. Aber die drei Ländern haben zum Teil einen völlig anderen geschichtlichen Werdegang. Livland, und damit ein Grossteil des heutigen Lettlands, war ja unter den Kreuzrittern und den diversen römisch-katholischen Bistümern im Baltikum aufgeteilt während Litauen noch lange unabhängiges Grossfürstentum (von der Ostsee bis ans Schwarze Meer!) war, das erst mit der Übernahme der polnischen Krone durch den Grossfürsten zur Christianisierung (und damit zum Zerfall…) führte. Aber das nur nebenbei.
Wir wollen uns auf dem Weg nach Westen ein paar weitere Herrenhäuser ansehen, müssen aber feststellen, dass diese entweder zu Teilen privater Golfanlagen mutiert sind und damit der Zutritt nicht möglich ist oder der Park zwar zugänglich aber das Haus in wenig ansehnlichem Zustand und verschlossen ist. Damit hatte sich der Teil des heutigen Programms erst mal (fast, siehe später) erledigt. Da ist hingegen das Verfahren zu loben, das Jagdschloss des ehemaligen Bürgermeisters von Riga öffentlich und kostenlos zugänglich zu machen und die Restauration und den Hotelbetrieb darin einem privaten Unternehmen zu überlassen.
Kurländische Schweiz
Wer wenigstens die letzen 10 Jahre beim Lesen des Reiseblogs durchgehalten hat, erinnert sich vielleicht und kennt diese Gegend schon; 2006 machten wir eine Rundreise durch Kurland. Dieser westliche Teil Lettland ist stark hügelig, ja fast bergig (bis zu 120 Meter) im mittleren und südlichen Teil und beherbergt unter anderem den nördlichsten Weinberg der Welt und den längsten Wasserfall Europas. Aber der Reihe nach.
Kandava
Das Städtchen Kandava liegt wieder auf dem Weg. Wie fast alle Orte in Kurland fand es im 13. Jahrhundert erste Erwähnung; sie gründen sich fast ausnahmslos als Ansiedlungen um eine Burg, meist der Ordensritter. Wirtschaftlich hingen sie entweder an der Hanse, was ihnen einen gewissen bis überreichen Wohlstand einbrachte oder sie hatten das Glück, zur Herrschaft umsichtiger Fürsten zu gehören.
Bis heute kann man schon beim langsamen Durchfahren der Orte an den Häusern erkennen, wie wohl die Geschichte verlaufen ist: Neben geduckten, zum Teil windschiefen und verfallenden Holzhäusern finden sich im Kern neben den sozialistischen Resten recht stattliche Gebäude, oft ebenfalls aus Holz, aber ebenso häufig auch gemauert; freilich erkennt man ebenso häufig, dass eben das Geld für eine angemessene Renovierung bis heute fehlt. Und dann plötzlich ganz modern: Neue Wohnhäuser und eine neue Kirche.
Noch ein Herrenhaus
Wir fahren hinaus nach Rūmene zur empfohlenen Besichtigung des örtlichen Herrenhauses und landen am Rande eines Golfgeländes mit anschliessendem gepflegtem Park und einem hinter Schloss und Riegel und hinter Bäumen versteckten herrschaftlichen Gebäude.
Also kehren wir zurück nach Kandava und fahren weiter nach
Sabile
Diese lettländische Weinstadthat sich verschönert in den letzten zehn Jahren, der Weinberg steht prächtig und kann heute gegen eine Gebühr von 70 Cent sogar betreten werden; damals war alles geschlossen.
Und das Café an der Strasse hat sich stattlich vergrössert. Die junge Frau an der Theke freut sich, dass wir das noch wissen; sie war damals allenfalls ein kleiner teenager…
Und um die Ecke entdeckt Lis die ganzen Touristen, die wir bisher vermissten…
Renda
Der kleine Ort, zu deutsch Rönnen, an dessen Rand wir wegen einer kleinen Kirche anhalten, ist eigentlich keiner Erwähnung wert;
auch nicht des kleinen Wasserfalls wegen (ein Meter vielleicht?), den ich beim Rundgang hinter der Kirche einiges tiefer entdecke.
Auch nicht wegen des hinter der Kirche gestapelten Brennholzes für winterlich-kalte Gottesdienstsonntage.
Nein, es ist eine Fussnote bei Wikipedia: Die Geburt von Mary Alice Lilly Gerold, der zweiten Ehefrau von Kurt Tucholsky und nach seinem Tode seine Nachlassverwalterin, ist hier im Taufregister dieser evangelisch-lutherischen Kirche vermerkt.
Es ist immer wieder erstaunlich, welche Zufälle einem völlig andere Wege weisen, wenn man reist. Ein Kirchlein am Wege, die Suche im Internet nach dem Dörflein – und man stösst unvermittelt auf unseren grossen und so wichtigen Schriftsteller Kurt Tucholsky.
Kuldīga
Kuldīga wartet mit einer wunderschönen Backsteinbrücke und einem Wasserfall auf, dessen Breite sich auf fast 250 Meter erstreckt; damit hält er wohl den europäischen Rekord. Bei der Fallhöhe fällt er hingegen etwas ab: ein bis maximal zwei Meter, je nach nachrückender Wassermenge; da bietet der Rheinfall mehr.
Der Rheinfall hat eine Höhe von 23 Metern und eine Breite von 150 Metern.
– Wikipedia
Auch wurde über die Jahrhunderte versucht, den Wasserfall durch einen Kanal zu umgehen. Es ist aber nie so richtig gelungen.
Dessen ungeachtet: Kuldīga ist eine echte Touristenattraktion. Nicht, dass es hier nun von Ausländern wimmelt – ausser Russen und uns mache ich keine aus. Der Weg hinunter zur Venta ist dicht bevölkert und der »Gang üben dem Abgrund« des Wasserfalls wir zur ständigen langen Kette der Barfüssler.
Die Innenstadt ist abgesperrt und dicht bevölkert von Buden und Menschen. Eine wirkliche Touristenstadt ist es geworden, was vor zehn Jahren eher wie eine trüb-traurige und verregnete Ansammlung von ein paar herunter gekommenen Häusern wirkte.
Obwohl, zu erkennen war auch damals, dass man hier bei besserem Wetter durchschlendern müsste. Schlendern ist aber heute eher nicht, eher quetschen.
Und so fahren wir eben weiter bei dieser Hitze.
Eine weitere Chance, ein altes Herrenhaus zu besichtigen – immerhin aus dem 13. Jahrhundert – ging ebenfalls an uns vorüber: Geschlossen…
Aizputē
Dieses Städtchen hatte ich mir schon bei der frühen Planung herausgesucht, trägt es doch den putzigen alten deutschen Namen Hazenpot, also auf gut deutsch Hasenpfote. Das ist aber nicht der Grund, uns dort umzusehen. Am Ort finden sich nämlich die Ruine einer sehr alten Ordensburg, eine aus der Zeit, in der zum Beispiel der Verwüster von Fritzlar und Kirchenschänder Dietrich von Grüningen zur Strafe Ordensritter werden und nach Livland auswandern musste um der Katholischen Kirche die heidnischen Schäfchen dort zuzutreiben.
Die Stadt war Mitglied der Hanse und hatte einen Ostseehafen in ca. 40 km Entfernung, angebunden durch die schiffbar gemachte Tebra. Das heutige PÄvilosta müsste das gewesen sein. Dort wollen wir morgen hin.
Wir schauen uns trotz unerträglicher schwüler Hitze etwas um, suchen und finden dann das Gästehaus, wo man uns für 30€ alles bietet – ausser Frühstück: Internet, einen grossen Saal als Aufenthalts- und Arbeitsraum, eine Küche mit allem, was Lis morgen zur Zubereitung eines solchen braucht. Also gehen wir einiges später einkaufen, nachdem wir erst mal vor Erschöpfung in die Horizontale gegangen sind.
Wir lassen uns dann noch ein Lokal empfehlen, in dem wir gut und günstig was zum Essen bekommen würden und wanken dort hin, vorbei an der Wassermühle, die wir damit auch schon besichtigt haben und einem abendlichen Blick auf die Johanniskirche; die ist aber erst morgen früh dran.
Der Abend beschert dann ein heftiges und anhaltendes Gewitter. Nochmal los zu gehen verbietet sich da. Da sitze ich besser bei offenem Fenster im grossen Saal am Tisch und tippe…