* Rund Europa 2016 (3), 3. Tag: Sobibór

Mittwoch, 24.08.2016, 17:10:47 :: Horodło, Hotel Sława
Montag, 10.10.2016, 17:54:01 :: Galanado
Dienstag, 29.01.2019, 23:57:13 :: Galanado

Sobibór

Sobibór ist vielerlei. Es ist ein kleiner unscheinbare Siedlung, ein Bahnhof, eine »Rampe«, ein kleines, aber geschlossenes, Museum und – eben ein reines Vernichtungslager des unseligen Deutschen Reiches, erbaut zur Vernichtung von ungefähr 250.000 Menschen, insbesondere polnischer Juden. Polen hatte 1939 den höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil in Europa, 3.2 Millionen, 10% der Gesamtbevölkerung.

Es ist aber auch ein unseliges Beispiel, wie das heutige Deutschland mit seiner Vergangenheit umgeht. Gewiss ist Deutschland eines der Länder, die ihre Vergangenheit halbwegs und zum Teil besser aufgearbeitet haben und aufarbeiten als manches der osteuropäischen Länder, wenn es zum Beispiel um Kollaboration oder gar eigenständige Verfolgung und Ermordung von Juden und anderen Minderheiten im Osten Europas geht.

Gedenkstätte

1961 ließ der polnische Staat ein Mahnmal auf dem Aschefeld errichten. Erst 1993 wurden zum Jahrestag des Aufstandes ein kleines Museum eingerichtet und eine Gedenktafel ausgewechselt, auf der sich kein Hinweis auf die fast ausschließlich jüdischen Opfer befunden hatte. 2006 wurde mit Bäumen eine Gedenkallee gepflanzt. Die Gedenkallee folgt dem ehemaligen Weg, den die Gefangenen von der Rampe der Eisenbahn bis zu den Gaskammern gehen mussten.

Die Arbeit der Gedenkstätte und die Pflege der Anlagen wurde von einigen wenigen polnischen Mitarbeitern und Historikern getragen und von privaten Initiativen, insbesondere von der niederländischen „Stichting Sobibor“, von Jules Schelvis und Thomas Toivi Blatt, dem Bildungswerk Stanislaw Hantz e.V., der Naturfreundejugend NRW um Georg Bückle und einigen wenigen anderen, sehr oft Hinterbliebene der Opfer, unterstützt.

Im Juni 2011 musste die Gedenkstätte wegen Geldmangels des Landkreises schließen. Eine Halbierung der Mittel für 2011 hatte zuvor schon die Entlassung der Hälfte der Mitarbeiter zur Folge, ab 2012 will das polnische Kulturministerium die Finanzierung übernehmen.

Am 26. September 2013 hatte das ARD-Fernsehmagazin Kontraste dazu die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Cornelia Pieper mit den Worten zitiert: „Man hat uns gesagt, dass man bis jetzt Projekte in Sobibor mit anderen Partnern vorbereitet, also mit den Ländern, die davon betroffen waren, die dort auch Inhaftierte hatten. Da war Deutschland nicht dabei.“ Die Fernsehjournalisten kommentierten diese Worte als „Zynisch und falsch!“ und erinnern an die 20.000 deutschen Opfer in den Gaskammern von Sobibor laut dem Bundesarchiv.

Pieper erklärte, ihre Aussage gegenüber der ARD habe sich darauf bezogen, dass bei der Bekanntgabe des Architektenwettbewerbs für die Neugestaltung der Gedenkstätte Sobibor – zu welcher die Botschafter der Staaten eingeladen waren, die in Sobibor Opfer zu beklagen haben – von polnischer Seite auch auf ausdrückliche deutsche Nachfrage keine Erwartungen an eine Unterstützung durch die Bundesregierung formuliert worden seien.

Ein Vertreter der deutschen Botschaft in Warschau erklärte, die Bundesregierung sei nie offiziell um finanzielle Unterstützung für die Gedenkstätte Sobibor gebeten worden. Polens Vizeminister für Kultur und nationales Erbe, Piotr Zuchowski, bestätigte das, fügte aber hinzu, die polnische Seite habe immer wieder Interesse an einem deutschen Engagement signalisiert.

Wikipedia Vernichtungslager Sobibór

Wer Auschwitz und Buchenwald besucht hat, hat vielleicht bemerkt, dass auf vielen Erklärungstafeln ermordete Polen dominieren; Hinweise auf jüdische und andere Opfer fehlen sehr häufig.

Sobibór drohte damals immer mehr ins Vergessen zu geraten – genau wie nach dem Krieg. Zwar hatte ein Justizbeamter 1946 im Zuge eines Kriegsverbrecherprozesses die ungefähre Stelle der Gaskammern markiert. Doch die kommunistische Regierung besaß kein Interesse daran, die Ausrottung der bei vielen Polen unbeliebten Juden zu thematisieren – obwohl diese Region einst von ihnen geprägt worden war.

…

Wie schwer es Juden in Polen noch heute haben, das hat Wojciech Mazurek gerade erfahren. Nach dem großen Fund besuchte er eine der zwei jüdischen Familien von Wlodawa und lud sie nach Sobibór ein. Die Familie lehnte höflich ab – sie wollen sich vor ihren polnischen Mitbürgern nicht outen.

DER SPIEGEL

Bialowitz (über die Entdeckung der Gaskammern) : Ich war glücklich! Das war der beste Moment meines Lebens. Wissen Sie, Sobibór war ein Top-Secret-Vernichtungslager, mitten im Wald, abgeschirmt von der Außenwelt. Die Deutschen haben nach der Auflösung alles getan, um ihre Verbrechen zu verstecken. Aber nun haben die Archäologen die Gaskammern entdeckt. Sobibór wird jetzt bekannter werden: ein Ort der Bildung für künftige Generationen. Dies ist ein Sieg – nicht nur für uns Überlebende, sondern für die Menschheit.

DER SPIEGEL, Interview

Ähnlich ergeht es einem in Litauen, wo immer die litauischen Opfer der russischen Gewaltherrschaft hervorgehoben, die jüdischen Opfer aber verschwiegen werden. Auch ein dicker Brocken unbewältigter Kollaboration.

Es liegt mir mehr als fern, zu relativieren oder aufzuwiegen. Aber bei der Beschäftigung mit unserer Vergangenheit, und zumal hier auf fremdem Boden, fällt mir eben auf, wie wenig und wie unterschiedlich Europa seine Vergangenheit aufgearbeitet hat; dabei habe ich Deutschlands Verpflichtungen in Griechenland noch gar nicht thematisiert. Vergleicht man zum Beispiel mit der touristischen Ausgestaltung und Betreuung der Wolfsschanze, dann fallen einem schon Fragen ein.

In Dänemark, Norwegen, am Nordkap, selbst im neutralen Schweden (u.a. Waffen- und Materialtransit), in ganz Ost- und Südeuropa bis hinab nach Kreta – überall waren »wir« und haben Unsägliches verbrochen. Und nichts davon ist wirklich aufgearbeitet, bereinigt, gesühnt. Über nahezu jeden Ort Osteuropas lese ich bei Vor- oder Nachbereitungen die Prozentzahlen des jüdischen Bevölkerungsanteils (oft um die 50% und darüber) und die Zahl der Überlebenden (eine »Handvoll«).

Museum des ehemaligen Vernichtungslagers in Sobibór :: Point of Sale von Publikationen Büro Museum (blauer Container)

Und so geht es uns eben auch hier: Wir stehen irgendwie betreten und beschämt vor einem mehr als traurigen Gedenkstättenareal; ich gestehe, dass mir immer wieder die Tränen kommen. Der Zustand ist unwürdig. Viele informative Tafeln stehen da im Freien, kreuz und quer verloren auf einer zertrampelten Wiese.

Sie begleiten uns über lange Strecken auf den Wegen, die wir etwas rat- und ziellos entlang gehen, beklommen und ohne rechte Orientierung. Zu Baustellen, Halbfertigem oder wieder dekoriertem bis zum symbolischen Mausoleum.

Dieses stilisierte Mausoleum ist ein Ziel. Ja und?

Ein umzäunter aufgewühlter und abgesperrter Teil um ein grosses Mahnmal soll wohl ein weiteres werden – das war der Bereich, wo die die Krematorien rauchten. Erst 2014 entdeckten Archäologen aus Israel (!) überhaupt die Grundmauern der Gaskammern, fanden dort noch Ringe und Amulette in den Aschefeldern und Massengräbern – nach 70 Jahren! Das sind mindestens zwei Generationen! Und: Die Mörder wussten um ihr Tun, sonst hätten sie nicht versucht, die Schädelstätte zu verstecken, mit Wald und Beton.

Über mögliche Grabräuberei wird gemutmasst.

Wir gehen Wege, die die Menschen zu ihrer Ermordung gehen mussten. Wir stehen an der Rampe, am Ende des Gleises, der Prellbock steht noch. Der Bahnhof steht noch.

Wir fahren ab mit dem Gefühl, dass hier in diesem Wald nach unmenschlichen Untaten menschliches Versagen sich breit gemacht hat, Untätigkeit, als wäre nichts gewesen, als ginge uns alles nichts an. Wie verlautbarten die Bonner/Berliner Drückeberger? Ich zitiere nochmals:

Ein Vertreter der deutschen Botschaft in Warschau erklärte, die Bundesregierung sei nie offiziell um finanzielle Unterstützung für die Gedenkstätte Sobibor gebeten worden. Polens Vizeminister für Kultur und nationales Erbe, Piotr Zuchowski, bestätigte das, fügte aber hinzu, die polnische Seite habe immer wieder Interesse an einem deutschen Engagement signalisiert.

Der Waldweg hinter dem Bahnhof ist genauso schlecht wie der auf der Herfahrt. Aber er tut so als wäre er ein ganz normaler. Für die Holzabfuhr und eben für die wenigen Touristen, die sich hierher verirrt haben.

Zurück zum Hauptartikel.

Leonard Cohen – Dance Me to the End of Love

Google Fotos

Links:

Stand: 2019-01-29 23:55:11

Dieser Beitrag wurde unter Europa, Kultur + Gesellschaft, Litauen, LT, PL, Polen, RundEuropa2016, UA, Ukraine abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar