Mittwoch, 08.11.2017, 12:33:00 :: Galanado
Quelle des Textes:Neulandrebellen :: Mit Genehmigung des Autors
Tom Wellbrock 8. November 2017
Die Frage, ob uns ein Krieg bevorsteht, wird von den meisten Menschen ausgeblendet. Das ist nachvollziehbar. Aber es ist auch fatal und extrem riskant, denn wir stehen an einer Schwelle, die alles, was wir aus dem Kalten Krieg kennen oder gelesen haben, in den Schatten stellt.
Russland bedroht uns. So wird es uns eingehämmert, immer und immer wieder. Und mit dieser Argumentation rüstet die NATO erneut auf. Um sich zu schützen, wie es heißt. Vor Russland, wie man hört. Also alles zur Verteidigung. Abgesehen davon, dass diese Sicht der Dinge auf einem komplett faktenlosen Boden steht, sollten wir unsere Sorge einer viel konkreteren Gefahr widmen: einem Angriffskrieg durch den Westen, angeführt durch einen US- Präsidenten, der nicht nur morgens keinen Schimmer hat, was er abends denkt, sondern darüber hinaus dazu neigt, seine Entscheidungen spontan zu treffen. Eine Angewohnheit, die für einen Präsidenten normalerweise undenkbar sein sollte. Dennoch unterscheidet sich Trump nicht großartig von seinen Vorgängern, die alle das gleiche Problem hatten wie er. Sie sehen, wie das Imperium USA seit Jahren immer schwächer wird, finanziell und wirtschaftlich. Russland könnte, zumindest gemeinsam mit China, zu einer Macht werden, die die USA in den Schatten stellt. Aber wer hoffen mag, dass dadurch etwas besser werden könnte, dürfte sich täuschen. Denn die USA werden das nicht zulassen, ohne im Zweifel alles mit sich in den Abgrund zu ziehen, einschließlich der eigenen Bevölkerung, von der Europas ganz zu schweigen.
Das Imperium auf schwachen Beinen
Imperien haben ein Zeitfenster, innerhalb dessen ihre Existenz besteht. Das Ende eines Imperiums markiert nicht etwa ein Knopfdruck (in diesem Fall allerdings könnte es anders sein), der die Sache ein für allemal erledigt. Stattdessen setzt es sich zur Wehr, mit allen ihnm zur Verfügung stehenden Mitteln, und erst recht, wenn es sich dabei um die USA handelt, die für sich in Anspruch nehmen, die einzig wahre Gesellschaftsform der Welt darzustellen, die eine legitime Berechtigung hat. Doch die USA schwächeln. Die Staatsverschuldung ist gigantisch, die innenpolitische Lage ist dauerhaft von Spannungen geprägt, die seit Jahrzehnten realisierte Expansion, oder besser: Einverleibung anderer Länder läuft nicht so, wie sich das die USA erhofft haben. Rüstung und Krieg zählen mittlerweile zu den wenigen lukrativen Aktivitäten der USA, und schon deshalb ist die Sorge vor einem Krieg nicht unrealistisch, sondern folgerichtig. Doch so richtig mag kaum jemand diese Gefahr erkennen. Das liegt unter anderem daran, dass heute viele Menschen selbst keinen Krieg erlebt haben, einmal abgesehen von den Berichten in Zeitungen, dem Fernsehen, Radio oder im Netz. Doch das alles wirkt abstrakt, weit weg, und wenn sich die Menschen vornehmlich darüber Gedanken machen, ob sie sich das neue iPhone kaufen oder lieber doch ein anderes Modell, kann die Lage so schlimm nun auch wieder nicht sein.
Aber das ist sie. Wir erleben erneut, wie die NATO sich weiter ausdehnt, unter fadenscheinigen Argumenten, die – bei Licht betrachtet – nicht haltbar sind. Wer wirklich glaubt, „der Russe“ hätte es auf uns abgesehen, würde Deutschland und/oder andere Länder in der Einflusssphäre der NATO überfallen wollen, der muss schon ein paar Substanzen eingeworfen haben, die die Wahrnehmung zwar erweitern, das aber ganz sicher nicht bereichernd tun.
Dieselben Substanzen müssen auch Politik und Medien eingeworfen haben, oder – und das ist realistischer – die Lügen haben Methode. Im Handelsblatt war am 7.11.2017 zu lesen:
Die NATO will mit einem weitreichenden Umbau ihrer Kommandostruktur auf die aggressive russische Politik reagieren. Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte, man strebe eine Modernisierung und neue Kommandozentren an.
„Aggressor“ Russland
Bemerkenswert an dieser Einleitung ist die Selbstverständlichkeit, mit der „aggressive russische Politik“ unterstellt wird. Damit einher geht das Grundgefühl der notwendigen Selbstverteidigung seitens der NATO. Immerhin, im weiteren Verlauf des kurzen Textes heißt es zwar, dass diese Aggressivität von der NATO nur als solche „wahrgenommen“ werde. Dennoch ist der allgemeine Tenor bei Medien und Politik, dass Russland „uns“ bedrohe und die NATO sich daher verteidigen müsse. Die Tatsache, dass die NATO sich seit Jahren Russland immer mehr nähert und ihrerseits eine Aggressivität an den Tag legt, die ihresgleichen sucht, fällt unter den Tisch, das würde die gedankliche Gesamtkonstruktion zu sehr stören.
Man muss nicht studieren oder halbe Bibliotheken durchforsten, um heraus zu bekommen, dass die USA weltweit in 156 Ländern Militärstützpunkte haben, Russland dagegen in nur 20. Auch die Militärausgaben der USA liegen mit 611 Milliarden Dollar erheblich über denen von Russland, das 69,2 Milliarden Dollar ausgibt. Und dabei sind die Militärausgaben der anderen westlichen Länder natürlich noch nicht mit eingerechnet.
Da liegt die Frage nahe: Wer bedroht hier eigentlich wen?
Der hier verlinkte, sehr lesenswerte Artikel auf den NachDenkSeiten von Brigitte Pick ist im Übrigen sehr ernüchternd, sogar erdrückend, und er zeichnet ein Bild, das über das sprichwörtliche „Säbelrasseln“ hinausgeht. Wir befinden uns schon heute an einem Punkt, der jeden Moment in einer tödlichen Explosion münden kann. Doch die
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allgemeine Wahrnehmung ist gewissermaßen nicht „bereit“ für einen Krieg, nicht in der Verfassung, die Vorstellung konkret im Kopf wachsen zu lassen. Das ist nachvollziehbar, denn wer will sich schon damit beschäftigen, dass ein Krieg – der dann wahrscheinlich ein Atomkrieg sein wird – eine ernsthafte Bedrohung sein könnte? Niemand, der bei Verstand ist und sein Leben liebt. Oder, von der anderen Seite aus betrachtet: Jeder, der das Leben liebt, sollte sich mit dem Gedanken daran beschäftigen.
Hinzu kommt, dass wir Krieg nur aus der Berichterstattung kennen, er ist für uns so real wie ein Film oder ein Clip im Netz, den wir beiläufig sehen und kurz schockiert sind. Nichts, was uns wirklich bedrohen könnte. Und das ist das Problem. Die Schnelllebigkeit kommt erschwerend hinzu, täglich, ja, sogar stündlich werden neue Säue durchs Dorf getrieben, wir haben überhaupt keine Zeit, uns mit dem Gedanken an einen Krieg zu beschäftigen, und das, obwohl die Aufrüstung seit Jahren läuft und läuft und läuft.
Wir wollen nichts sehen
Letztlich aber ist es auch die späte Geburt, die uns den Gedanken an einen Krieg verhindern lässt. Die meisten von uns können sich nicht vorstellen, dass sich an ihrem Leben etwas ändern könnte. Zumal wir uns mit Dingen wie der Sitzordnung im Bundestag beschäftigen, mit Sondierungsgesprächen, die womöglich einmal zu Koalitionsgesprächen werden, mit Provokationen der AfD oder der Frage, wie in diesem Jahr Weihnachtsmärkte heißen werden. Aber auch mit existenziellen Dingen wie niedrigen Löhnen, dem Ausverkauf der gesetzlichen Rente, der Privatisierung der Daseinsvorsorge, Armut, kaputte Infrastruktur und Mieten, die zunehmend unbezahlbar werden. Dann kommt die Digitalisierung hinzu, viele Dinge, die wir nicht beurteilen können, die uns Angst machen und mal mehr, mal weniger beschäftigen. Da ist für den Krieg, der womöglich auf uns zukommt, einfach kein Platz mehr.
Wir müssen das aber verstehen. Wir befinden uns mitten in einer West-Ost-Konfrontation, die ein Ausmaß erreicht hat, das den Kalten Krieg übertrifft. Weil die Machtansprüche heute stärker sind, weil die Abschreckung, die zu Zeiten des Kalten Krieges schon ein Tanz auf dem Vulkan war, heute weniger eine Rolle spielt als die Aufteilung der Welt in neoliberale Planquadrate. Es geht nicht mehr darum, dem Gegner klar zu machen, dass er bei einem Krieg genauso verlieren würde wie man selbst. Es geht inzwischen um Strategien, die das Ziel haben, erstens selbst heil aus der Sache heraus zu kommen, weil die militärischen Mittel und Abwehrmechanismen heute ein anderes Niveau haben als zu Zeiten des Kampfes zwischen dem Westen/der USA und der Sowjetunion. Und zweitens um die Ausdehnung des eigenen Machtbereiches. Gemeint ist hier primär der Machtbereich der USA, die ihre Felle zunehmend davonschwimmen sehen, weil sie in jeder Hinsicht dabei sind, ihre Stellung als Imperium zu verlieren. Doch das werden sie nicht kampflos zulassen, sie lassen es schon jetzt nicht kampflos zu und kämpfen verbal und militärisch gegen alles, was sich irgendwie realisieren lässt. Es ist daher eine Frage der Zeit, bis auch Russland ein konkretes, akutes Ziel militärischer Angriffe durch die USA und die NATO sein wird. Die Tatsache, dass die meisten Menschen dank ihrer späten Geburt einen Krieg nicht mehr hautnah erlebt haben, spielt bei diesen globalen Überlegungen keine Rolle.
Die USA befinden sich auf einem absteigenden Ast, und das schon länger. Die Tatsache, dass sie nun Trump als Präsident haben, macht die Sache nicht leichter, weil dieser Mann unberechenbar ist. Aber mit einer Hillary Clinton als Präsidentin sähe die Sache ganz sicher auch nicht anders aus. Das Imperium USA wird sich entweder mittelfristig erholen. Oder untergehen. Und dann gnade uns Gott. Oder wer auch immer.
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Links:
- Infosperber.ch: Die Welt ist unsicherer geworden – auch dank NATO :: Eine aktuelle amerikanische Analyse, s.u.
- The Nation: Have 20 Years of NATO Expansion Made Anyone Safer?
- Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog