Dienstag, 02.07.2019, 22:04:49 :: Oderberg
Mittwoch, 17.07.2019, 16:09:00 :: Raudondvaris, Litauen
Die Nacht war lang – also schlafen wir lang. Die Temperatur ist auf ein erträgliches Mass gesunken. So können wir nach einem langen Frühstück mit Tom getrost und gestärkt losfahren. Wir wollen nach Nordosten nach Oderberg, ein Städtchen, das an einem alten Oderarm, dicht an der Oder und damit an der Grenze zu Polen liegt. Was das alles bedeutet und was an diesem Tag alles auf uns zu kommen würde, das ist uns nicht klar. Es bestätigt aber eindrücklich, dass man langsam reisen muss, offen sein für alles, was kommt, wenn man etwas erleben möchte.
Die StadtFarm
Unser erster Stop ist in Lichtenberg, also noch in Berlin: Die Arbeitsstelle von Patrick, die StadtFarm. Sie liegt am Ende der Allee der Kosmonauten, was Futuristisches erwarten lässt. Für »Ausländer« allerdings nicht leicht zu finden, erreichen wir sie dennoch nach einigem Gekurve und Gewende.
Kurz gesagt: In der Stadtfarm versucht eine kleine Mannschaft mühsam aber offenbar sehr erfolgreich, streng biologisch zu wirtschaften und zu erzeugen. Grünzeug, Gemüse, Gewürze, Tomaten, aber vor allem die Zucht und Verarbeitung des Afrikanischen Raubwelses ist die bedeutendste Aktivität. Allerdings, und das ist der Trick: Nichts geht ohne das Andere!
Wir bekommen erklärt, wie dieser wohl schmackhafte aber anspruchslose Fisch auf engstem Raum gezüchtet wird, wie Exkremente, mehrstufig durch physikalische und biologische Filter geleitet, zu wertvollem Dünger für den Gemüseanbau werden, ja selbst das Filtermaterial wird so entsorgt – keine Abfall also.
Die Farm produziert für Gaststätten und Privathaushalte, die hier einkaufen können oder aber direkt zuhause beliefert werden.
Wir bekommen zum Abschied ein Gebinde mit Honig, Tomaten und Salat mit geräuchertem Wels mit auf den Weg.
Durch die Mark Brandenburg
Na ja: Durch einen kleinen Teil. Mit Theodor Fontane, der in diesem Dezember seinen 200. Geburtstag feiern könnte und seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg können wir uns nicht messen.
Das fünfbändige Werk Wanderungen durch die Mark Brandenburg ist das umfangreichste des deutschen Schriftstellers Theodor Fontane (* 30. Dezember 1819 in Neuruppin; †20. September 1898 in Berlin). Er beschreibt darin Schlösser, Klöster, Orte und Landschaften der Mark Brandenburg, ihre Bewohner und ihre Geschichte. Zwischen 1862 und 1889 erschienen, ist das Werk Ausdruck eines gewachsenen preußischen Nationalbewusstseins und der Romantik. Die Eindrücke und historischen Erkenntnisse, die Fontane während der Arbeit an den „Wanderungen“ gewann, bildeten die Grundlage für seine späteren großen Romane wie Effi Briest oder Der Stechlin.
Aber immerhin.
Die Fahrt durch die Alt-DDR führt nicht durch blühende Landschaften, auch heute noch nicht.
Über die wesentlichen Gründe schweige ich heute. Dafür zitiere ich lieber Fontane:
Das Oderland, 1863
Neben Oder und Oderbruch stehen im Mittelpunkt des zweiten Bandes östliche Teile des Barnim und das Lebuser Land. Ausführlich beschreibt Fontane die Anstrengungen, das Oderbruch trockenzulegen und nutzbar zu machen. Vom Ruinenberg in Freienwalde bot sich folgender Blick auf die Oderlandschaft: „Wie ein Bottich liegt diese da, durchströmt von drei Wasserarmen: der faulen, alten und neuen Oder, und eingedämmt von Bergen hüben und drüben […]. Meilenweit nur Wiesen, keine Fruchtfelder, keine Dörfer, nichts als Heuschober dicht und zahllos, […] nur grüne Fläche; dazwischen einige Kropfweiden; mal auch ein Kahn, der über diesen oder jenen Arm der Oder hingleitet, dann und wann ein mit Heu beladenes Fuhrwerk oder ein Ziegeldach, dessen helles Rot wie ein Lichtpunkt auf dem Bilde steht.“
Ungefähr eine Stunde vor der vermuteten Ankunft in Oderberg melden wir unser Kommen bei Johanna an. Wir wollten »nur kurz« bei diesem sogenannten »Schiffshebewerk«, das mehr oder weniger auf dem Weg liegt, vorbei schauen, da man uns das empfohlen hatte.
Dann aber die große Überraschung: Das Schiffshebewerk Niederfinow ist ein tagfüllendes Programm!
Schiffshebewerk in Niederfinow
Den ersten Spatenstich 1906 für dieses damalige Grossprojekt (das unsere im Bild) hat Fontane nicht mehr erlebt, er starb wenige Jahre davor 1898. Aber unserem Gedächtnis tut es meiner Meinung nach gut, sich die Kürze der Zeit zu vergegenwärtigen, die wir auf der Welt sind und die wir oft als »lang« empfinden, besonders, wenn wir vor derartigen Leistungen stehen. Und: wurde zuzeiten fertig!
Als wir uns dem ausgeschilderten Gebiet nähern, türmt sich zunächst eine riesige Betonbaustelle vor uns auf; keine Idee was die bedeuten könnte.
Erst dahinter – jetzt wird klar, was wir da vor uns haben – ein kleiner Bruder, komplett in Stahlbauweise. Wir beginnen zu begreifen: Ein Schiffshebewerk ist etwas grösseres, etwas wahrhaft gigantisches. Und nach der Infrastruktur daneben zu urteilen auch eine Attraktion für Jung und Alt, ein wahrer Erlebnispark.
Am Infozentrum erwerben wir Eintrittskarten für die hervorragend dokumentierende technische Schau und ich für die spätere Wanderung hinauf auf die alte Hebeanlage. Doch zunächst lernen wir alles über Deutschlands Wasserstrassennetz, speziell über die Verbindungen zwischen Berlin. der Elbe und der Ostsee via Kanäle, alte Oderarme und die eigentliche Oder.
Die Höhenunterschiede um von Berlin in die Ostsee zu gelangen, sind beträchtlich und beruhen auf der Wasserscheide zwischen (grob) Elbe und Oder; die muss irgendwie überwunden werden. Hier in Niederfinow sind es 36 Meter, die Schiffe per Aufzug überwinden müssen.
Wir lernen die Unterschiede sowie Vor- und Nachteile von Schleusen, Rutschen und Hebewerken.
So ausgestattet essen wir erst einmal zu Mittag und lassen das neue erworbene Wissen zusammen mit dem schmackhaften und herzhaften Essen sich setzten. Und danach begebe ich mich den Hang hinauf zur alten Anlage aus dem Jahre 1934, ein Industriedenkmal, das noch immer in Betrieb ist, aber für die modernen, längeren Schiffe nicht mehr passt.
Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus: Filigran und kraftvoll tut sie noch immer ihren Dienst.
Daneben entsteht eine neue, grössere Version in Beton.
Ich habe das Glück, dass gerade drei Schiffe hochgehoben werden wollen. So sehe ich das Spiel mit Seilen und Gegengewichten aus nächster Nähe.
Links:
- Wikipedia: Schiffshebewerk Niederfinow :: Es lohnt, sich diesen Wikipediaartikel samt der Bilder von den Bauphasen anzusehen.
- Schiffshebewerk Niederfinow – Europas größter Schiff-Fahrstuhl
- Nordkurier: Neues Schiffshebewerk Niederfinow soll 2019 eröffnen
- Schiffshebewerk Niederfinow – Technik, die begeistert
Erst am frühen Abend landen wir dann bei Johanna in Oderberg.
Nachdem wir uns im Haus umgesehen haben machen wird zusammen den ersten Spaziergang durchs Städtchen. Erster Eindruck: Es ist ein Jammer. Aufgegebene Geschäfte, verfallende und verfallene Häuser. Aber wird sollten uns täuschen.