Mittwoch, 04.09.2019, 19:54:41 :: Călăraşi, Hotel Hestia ****
Sonntag, 06.10.2019, 10:47:15 :: Galanado
Im Hotel Herberth’s haben wir nicht sonderlich gut geschlafen: Es liegt, wie schon am Tag zuvor beschrieben, zwischen mehreren Hauptverkehrsstrassen, die offenen Fenster sind aber zwecks Luft für mich unvermeidlich. Dafür haben sie aber Fliegengitter, so dass Moskitos keine Chance haben. Das Frühstück ist rumänisch, will heissen spartanisch, für 4 € aber irgendwie doch ok.
Ich krame überrascht die Eintrittsbillett von gestern Mittag aus der Hemdentasche und wundere mich darüber zum ersten Mal. Sie scheinen nicht neueren Datums zu sein, wurden aber gestern gelöst und zwar eben in Histria. Altertümer gibt es offenbar auch bei Eintrittskarten.
Über Nacht hat es in unserem Zielgebiet geregnet, die Temperatur ist kräftig auf ein für mich angenehmes Niveau gefallen, hoffentlich bleibt’s beim »es hat geregnet« …
Zur Tagesroute muss ich wohl vorab etwas ausholen: Unser Ziel am nächsten Tag wird Russe an der Donau sein, jedoch am südlichen und damit bulgarischen Ufer. Von Ovidiu aus betrachtet wäre der direkte Weg daher eine Strasse südlich der Donau. Da ist er wieder, der Unterschied zwischen »fahren« und »reisen«. Ich möchte am nördlichen, dem Borcea-Arm der Donau durch die rumänischen Donaudörfer reisen und da landet man dann eben in Călăraşi …
Die beiden Donauarme Borcea und der südlichere Alte Donauarm schliessen die Insel Balta Ialomița ein, 830 km² gross und 94 km lang. Teilweise ist sie Naturreservat und des öfteren überflutet, denn sie ragt nur 10-17 Meter aus den Donaufluten.
Nicht alle Inseln in der Donau sind unbescholten, das ca. 250 km weiter westlich liegende Inselchen Belene, auf dem 1944 das erste bulgarisch Arbeitslager errichtet wurde, zum Beispiel:
Der in Bulgarien geborene Ilija Trojanow hat einen Dokumentarfilm über Belene gedreht und eine bittere Reportage über den Ort an der Donau, nein, über das große Vergessen verfasst, das über alles, was in Belene geschah, bis heute verhängt ist. 1944 errichteten die bulgarischen Stalinisten auf der Insel ein Arbeits-und Umerziehungslager, in das Abertausende verschleppt wurden, unter den üblichen Anklagen als vermeintliche Saboteure enttarnt, die sich in die Reihen der Kommunistischen Partei eingeschlichen hatten. In Belene wurden Bauern inhaftiert, die angeblich Tierseuchen in den landwirtschaftlichen Kolchosen herbeigeführt hatten, und Künstler, die mit ihrem dekadenten Formalismus den natürlichen Optimismus der Werktätigen zersetzen wollten. Zahllose Menschen starben an Hunger und Entkräftung, in den eiskalten Wintern, den brühheißen Sommern, in denen sie immerzu arbeiten mussten, Donaulastkähne entladen und wieder beladen. Wie viele es waren, ist bis heute nicht bekannt, denn die Enkel derer, die ihre Landsleute denunzierten, drangsalierten und ermordeten, haben sich in den Besitz des neuen Staates gesetzt, sodass die Akten über die Verbrechen geschlossen bleiben.
Ach ja, und Maut: Rumänien und Bulgarien verlangen für die Nutzung jedweder Strassen eine Maut-Vignette. Wer das nicht weiss, zahlt – so wie wir beim Verlassen Rumäniens. 50 € Strafe waren da so mal schnell fällig, »Freundschaftspreis«, wie mir die Dame an der Zollkontrolle lächelnd erzählt.
Gut, durch diese Landschaft am nördlichen Donauufer werden wir also reisen.
Zunächst geht es im Strassengewirr des nach Norden auswuchernden Constanțas über den Nordarm des Donau-Schwarzmeer-Kanals. Dieser Kanal verkürzt übrigens die Verbindung zur Donau und damit zwischen Constanţa und Rotterdam um 370 km. Ja, diese europäische Wasserstrasse ist aktiv!
Sonne ist heute wie gesagt Mangelware, kein Fotolicht …
Die bullige Radarstation am Horizont links erinnert uns daran, dass die USA einige feste Stützpunkte in Constanța haben, neben dem Militärhafen am Schwarzen Meer auch auf dem militärischen Teil des Flughafens Constanța, auf dem die USA mit Wissen und Duldung höchster rumänischer Politiker geheime Foltergefängnisse unterhielten:
Die USA in Rumänien
Neue Stützpunkte in Osteuropa
Zu den Regionen im Bereich des EUCOM, in denen trotz des insgesamten Abbaus ein Zuwachs von Truppen erfolgen soll, gehören eine Reihe von osteuropäischen Staaten. In Rumänien hatten die USA bereits während des Dritten Golfkriegs Truppen stationiert, sie jedoch 2003 wieder abzogen. 2004 bot die rumänische Regierung den USA die erneute Nutzung des Mihail-Kogălniceanu-Militärflugplatzes und nahegelegener Hafenanlagen in Constanța an, ebenso den Marinehafen Mangalia und eine Übungseinrichtung in Babadag. Am 6. Dezember 2005 schlossen die beiden Staaten einen Vertrag, der die Errichtung einer Forward Operating Site vorsieht. US-Truppen sollen neben dem Kogălniceanu-Flughafen, der als einziger Stützpunkt eine ständige Besatzung von rund 100 Mann erhält und Babadag auch Einrichtungen in Cincu und Smârdan nutzen.
Nach einem am 8. Juni 2007 vom Europaratsermittler zur CIA-Affäre, Dick Marty, vorgestellten Bericht gibt es Beweise, dass auf der Militärbasis geheime Foltergefängnisse untergebracht waren und hochrangige rumänische Politiker davon Kenntnis hatten. Als Personen, die die Foltergefängnisse autorisierten oder zumindest davon wussten und zu verantworten haben, werden in dem Bericht namentlich genannt: der frühere Präsident Rumäniens Ion Iliescu, der dies mittlerweile auch zugegeben hat,[4] der frühere Präsident Rumäniens Traian Băsescu, der frühere Berater des Präsidenten für nationale Sicherheit Ioan Talpeș, der frühere rumänische Verteidigungsminister Ioan Mircea Pașcu und der frühere Kopf des Direktorats für den militärischen Nachrichtendienst Sergiu Tudor Medar.
Nachdem wir uns zunächst verfranst haben, weil die GPS-Dame die aktuellen Strassen hier nicht so recht beherrscht, gelingt uns doch die Überfahrt über die beiden Donauarme nach Feteşti.
Obst- und Weinplantagen, oft bis zum Horizont, wechseln mit dörflichen Ausblicken, selbst Moscheen fehlen hier nicht.
Man kann sich diese Brücken nicht kolossal genug vorstellen. Obwohl wir diesen Übergang über die Donau in der Gegenrichtung schon 2006 und 2010 genutzt haben, sind wir wieder sehr beeindruckt über die beiden 1,7 km und ca. 500 m langen mittlerweile stillgelegten „Märklin“-Konstruktionen der Podul Regele Carol I, die zur Insel Balta IalomiÈ›a führt. Mittlerweile wird für die Passage Maut erhoben, das gab’s früher nicht, knapp 3 € verschmerzen wir aber locker.
Links:
- Die Vorgängerin der heutigen Brücke: Die König-Karl-I.-, später in Anghel-Saligny-Brücke umbenannt. Sie wurde 1895 fertiggestellt. Nur rund 50 m weiter südlich bzw. flussaufwärts steht die 1987 eröffnete, meist einfach Cernavodă-Brücke genannte, kombinierte Eisenbahn- und Autobahnbrücke, die die Anghel-Saligny-Brücke ablöste.
An der schönen blauen Donau?
Naja, blau geht heute garnicht. Es ist bedeckt und wir sind dankbar, dass es wenigstens nicht regnet. Wir passieren viel mehr Dörfer, als ich vermutet habe, Einblicke ins bäuerliche Leben, mal dicht am Wasser, mal weiter entfernt, die Donau aber bleibt die Leitschnur, das merken wir immer wieder.
Die Bebauung ist wie fast überall in Osteuropa, die Unterschiede zwischen Polen und Rumänien, viel weiter südlich, verwischen zuweilen; es sind beim genaueren Hinsehen fast alles Relikte des schief gegangenen sog. Sozialismus.
Auffällig immer wieder die grossen Silos am Strassenrand. Hier werden wohl Getreide und Sonnenblumenkerne gesammelt, vermute ich. Und immer wieder die Storchennester in grosser Zahl, besonders, je näher wir dem Wasser sind. Wie weit hinunter werden wir ihnen wohl noch begegnen?
Die Gegensätze aber bleiben: Aktuelle durchbrausende Automodelle und die Pferdewagen, die Tierfutter und Menschen transportieren, aber durchweg mit Gummibereifung, die Strassen wären sonst endgültig nicht mehr zu gebrauchen.
Geben wir diesen Ländern aber die Ehre: Im letzten Jahrzehnt sind die meisten Strassen auf dem Stand – ausser man sucht so wie wir die kleinsten, meist mit vier Ziffern gekennzeichneten, da wird Asphalt dann zu Geröll und Staub, ob in Lettland oder in Bulgarien (Estland lass‘ ich aus, groooße Ausnahme!).
Unsere kurzen Abstecher ans Ufer enden zuweilen abrupt, zusammen mit dem Sträßchen oder zuletzt im Feinststaub bei einer kleinen Fähre.
Kirchen
Der Stil der Kirchen ist sehr unterschiedlich, ich vermute später, dass wir wieder mit dem enormen Mix an unterschiedlichen Nationalitäten zu tun haben: Hier siedeln neben Rumänen auch Ungarn, Türken, Bulgaren, Russen und Lipowaner, von denen ich bisher nichts wusste.
Nachdem wir gestern an der Ausgrabungstelle von Histria ein Restaurant mit Griechischer Musik als Dauerberieselung vorfanden (Histria als Kolonie des ionischen Milet gegründet), landen wir heute im Griechischen:
Die Göttin Hestia, nach der unser Hotel (**** !) benannt ist, ist in der griechischen Mythologie die Göttin des Familien- und Staatsherdes, des Herd- und Opferfeuers und eine der zwölf olympischen Götter, u.a. immerhin die Schwester des Zeus. Wir dürfen in diesem Haus in Călăraşi also einiges erwarten.
Unerwartet
Die äussere Ausstattung lässt uns daher zunächst erschaudern ob des Pomps, der Preis hingegen erfreut uns (45 € m.F.). Nur bei den Details, da hapert es: Im Bad tropft das Heizungsrohr und die Klimaanlage schafft es nicht, die Temperatur auf ein erträgliches Mass zu senken. Da bleibt nur die Flucht hinunter in den Terrassenbereich des Restaurants, da ist Schatten und ein kühlender Wind. Und Eiscreme. Und Cappuccino …
Stadtrundgang
Am Abend, als die Tageshitze sich etwas gelegt hat, machen wir uns auf den Weg zur Stadtbesichtigung.
Viel gibt es wohl nicht, was man Touristen bieten könnte. Nur wenige alte Gebäude, heruntergekommen, wie in noch vielen Städten Rumäniens, die unter Ceaușescu teilweise ja komplett abgerissen und neu aufgebaut wurden; insofern bin ich zufrieden, wenigsten ein paar der alten und reich verzierten Gebäude ausmachen zu können.
Wichtig wäre das Alltägliche: Es ist traurig und oft widersprüchlich, was wir zu sehen bekommen – Rumänien ist arm, das sieht man auch hier überall deutlich, wiewohl zum Beispiel der Gerichtskomplex pompös dasteht. Hingegen modern noch stehende alte aber respektable Prachtgebäude vor sich hin, wie zum Beispiel die ehemalige Kreisverwaltung von Călărași; die Polizeiwache versteckt sich noch irgendwo hinter einem Seitenflügel im Wäldchen.
Das Gerichtsgebäude präsentiert sich transparent mit viel Glas, ein »viel versprechender« Stand der korrupten und verrufenen Regierungspartei PSD – Partidul Social Democrat wirbt für irgend etwas, das Krankenhaus macht den Eindruck, den fast alle postsozialischen Krankenhäuser in Osteuropa machen und die Kirchen ducken sich irgendwo dazwischen.
Historisches
Von Vögeln verunstaltet und ziemlich allein gelassen treffen wir zunächst auf die Büste von Barbu Dimitrie Știrbei, einem Politiker der Revolutionsjahre 1848 ff., der wohl u.a. auch hier wirkte. Er blickt stumpf auf den neuen Prunkbau der Bezirksverwaltung, Die stolz ihre Fahnen in den Himmel streckt.
Und wir begegnen Tudor Vladimirescu als unscheinbare, zur Seite gesetzte und verwitterte Büste im Hof, einem der massgeblichen Anführer des rumänischen Aufstands gegen das osmanische Reich, 1821. Ausgerechnet der, der den ersten griechischen Aufstand total vermasselt hat, Alexander Ypsilantis, liess ihn hinrichten, als er ihm aus dem Ruder lief.
Tudor wurde vermutlich 1780 in Vladimir im Kreis Gorj in einer Bauernfamilie geboren. Er war Güterverwalter eines Bojaren. In den Jahren 1806 bis 1812 nahm er auf russischer Seite als Mitglied und Kommandeur des Pandurenkorps an dem Russisch-Türkischen Krieg teil. Später schloss er sich der Philike Hetairia an. 1821 stellt sich Tudor Vladimirescu an die Spitze einer revolutionären Bewegung gegen das Feudalsystem und die türkische Vorherrschaft und war Anführer eines Volksaufstandes in der Walachei und der Moldau. Am 29. März 1821 folgte die Besetzung Bukarests durch ihn. Die anschließenden Verhandlungen mit dem Ziel, den Einmarsch türkischer Truppen in Bukarest zu verhindern, wurden von Alexandros Ypsilantis als Verrat angesehen. In der Folge ließ dieser Vladimirescu festnehmen und hinrichten.
Und so bin ich beim Niederschreiben doch erstaunt, was wir alles entdeckt haben, so ganz ohne Reiseführer, auch wenn wir das Donauufer mit seinen Grünanlagen, von dem uns nur noch 300 Meter trennten, verpasst haben. Wer weiss: Da wir Călărași im September 2016 unbesehen passiert haben, um auf die Fähre nach Silistra in Bulgarien zu gelangen, …
… dieses Mal immerhin herumspaziert sind – vielleicht klappt es ja das nächste Mal, denn irgend etwas muss man sich schliesslich aufheben für’s nächste Mal.
Links:
- Tudor Vladimirescu, 1780 – 1821; Rumänischer Revolutionär, von Ypsilantis hingerichtet
- Alexander Ypsilantis; der verhinderte Revolutionär
- Ioannis Antonios Graf Kapodistrias, erster Präsident Griechenlands (1827)
- Ein korrupter Haufen: Die PSD – Partidul Social Democrat