Wenn ich vor einem Jahr geschrieben hätte, dass …

Sonntag, 21.03.2021, 14:30:16 :: Naxos
Montag, 22.03.2021, 13:59:53 :: Naxos

– so fangen ja derzeit viele Artikel an. Ein Jahr Corona und wir sind klüger.

Wirklich? Sind wir das? Und wer sind »wir«? Wenn die Mehrheit im Anstieg der dritte Welle für Lockerungen ist, dann kann man allenfalls davon reden, dass manche klüger geworden sind. Ich hatte bisher immer geschätzt, dass sich der Teil der Realitätsverweigerer auf so 25 – 30% beläuft. Dass es offenbar immer mehr werden, auch das hätte ich nicht für möglich gehalten.

Ich kann also getrost auch so beginnen, denn es ist nicht nur so gekommen wie zu erwarten sondern schlimmer.

Wenn ich vor einem Jahr geschrieben hätte, dass ich auf eine etablierte Schar treffe, die sich die ja ohnehin bestehende Freiheit nehmen, für Grundgesetz und Freiheit zu demonstrieren und damit (nachweislich!) die Zahl der Intensivpatienten und Toten zu vermehren – man hätte mich für nicht ganz dicht gehalten.

Wenn ich vor einem Jahr geschrieben hätte, dass die Pandemie sich in Wellen steigender Höhe fortsetzen wird, wenn wir nicht konsequent alle nur möglichen Kontakte schlicht unterbinden, man hätte mich ausgelacht.

Wenn ich vor einem Jahr geschrieben hätte, dass die Zahl der Toten proportional mit den gemeldeten Fallzahlen steigt, egal wie viele getestet werden, dass also die Zahl der positiv Getesteten und die sich hieraus ergebende Inzidenz sehr wohl Sinn macht und eigentlich die einzige real messbare Frühwarngrösse darstellt – es spotten noch heute, nach mehr als 400 Tagen viele darüber, selbst ehemals verdienstvolle Politiker wie Oskar Lafontaine, verstolpern sich da.

Ich könnte also weitermachen in extenso.

Das Schlimme ist, dass neben der Mehrheit der Bevölkerung auch die verantwortlichen Politiker versagt haben und ständig versagen. Das fängst im Kleinen an, und endet bei den grossen Aufgaben.

„Diese Woche hat uns vor Augen geführt,
wie unberechenbar diese Pandemie wirklich ist.“

Jens Spahn, letzte Woche

Dabei ist das Virus im Grunde das einzig Berechenbare in dieser Pandemie.

Wobei aber zu einer gewissen Ehrenrettung natürlich gesagt werden muss, dass es Länder gibt, die besser und umsichtiger und rechtzeitiger gehandelt haben aber eben auch solche, die total versagt haben. Und: Ja, Schweden gehört auch dazu.

Man kann also zurecht seinem Zorn freien Lauf lassen, es ist unfassbar, was in diesem vergangenen Jahr passiert ist. Einer, der das umfassend und konstruktiv getan hat, ist Alexander Unzicker mit seiner Zornesrede über Corona. Es lohnt, darüber nachzudenken.

Ich halte mich zurück, es würde sonst nicht enden. Ich sitze ja jeden Tag über den Zahlen und den Artikeln, soweit ich sie überblicken und aufnehmen kann. Meine Ausbildung und Erfahrung zwingen mich gewissermassen dazu. Ich habe mich auch wieder den aktuellen Programmiersprachen zugewendet um zu verstehen, wie Modellrechnungen funktionieren, habe manches nachvollzogen und ausprobiert. Ich rede also durchaus nicht ohne background.

Rückblick, statistisch

2021-03-22 :: Das ist die kumulierte Zahl der positiv Getesteten (blau) seit dem 1. März letzten Jahres. Die Kurven ganz zu Beginn zeigen die anfänglichen Prognosen, gestaffelt nach den einzelnen Zeitpunkten der ersten Maßnahmen. Nüchtern betrachtet haben wir ein Jahr gebraucht, um das Prognostizierte zu erreichen. Die positive Wertung: „flatten the curve“ hat funktioniert. Warum also machen wir weiterhin die bisherigen Fehler?

Reisen?

Dieses Jahr ganz sicher wieder nicht. Wir warten erst einmal auf eine Impfung des einen oder anderen Herstellers, da sind wir nicht wählerisch. Denen sollten wir im Übrigen dankbar sein, wie auch den ernsthaften Virologen und Epidemiologen. Wer in diesem und anderem Zusammenhang den Handelnden Profitgier und Korruption vorwirft und verabscheut hat völlig recht, auch wenn es nur um Provisionen für Maskengeschäfte geht.

Wenn man also das Raunend-Apokalyptische aus der aktuellen Stimmung als typisch deutsche Übertreibung herausrechnet, was bleibt dann? Ein Land, das so klar mit den eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert ist wie vielleicht nie zuvor. Bürgerinnen und Bürger, die dem Staat nicht mehr zutrauen, seine Aufgaben zu erfüllen. Und die nun vor der Frage stehen, ob sie in Opposition zu ihm gehen oder ein weiteres Mal einen Vorschuss an Vertrauen gewähren. Beziehungsweise selbst dazu beitragen, den Staat zu verbessern. Indem sie ihm bei den vielen Wahlen dieses Jahr eine neue Richtung geben, indem sie ihn in Parteien und Initiativen mitgestalten. Wen treibt diese Vertrauenskrise in die Passivität, wen aktiviert sie? Davon wird abhängen, wie die Demokratie aus der Pandemie kommt.

Corona-Politik: Fehlermeldung

Alle könnten dann wenigstens im Herbst vielleicht anders wählen. Ob’s hilft, kann ich nicht garantieren, aber so wie bisher wird’s garantiert nicht besser. Soweit bin ich mir sicher.

Bis dahin kann man sich orientieren, informieren und bilden …

Hörbares

Es gibt ja, teilweise schon seit einem Jahr, hervorragende Podcast, teilweise auch mit den nachträglich herunterladbaren PDF-Scripten, die sich wirklich lohne, für die man sich aber eben Zeit nehmen mus. Wie in der Schule. Da geht ja auch nicht alles bis zur Grossen Pause …

  • Coronavirus Update, jeden Dienstag mit Sandra Ciesek und Christian Drosten im Wechsel
  • Kekulés Corona Update mit Alexander Kekulé aus meiner Geburtsstadt Wittenberg
  • Pandemia bei Viertausendhertz, u.a. mit Kai Kupferschmidt, einem Molekularbiologen
  • MaiLab von Mai Thi Nguyen-Kim, der jungen Chemikerin, die so wundervoll erklären kann

Lesefutter

Vielleicht möchten andere lieber lesen, sich etwas mehr damit beschäftigen, was eigentlich in Grundzügen zur Allgemeinbildung gehören sollte, wenn man nicht in die Grube der schrägen Vögel abgleiten möchte. Das dritte Buch und die Bücher von Mai Li zeigt, dass es sehr wohl fruchtbaren Streit unter Wissenschaftlern geben kann.

(Fortsetzung folgt)

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