Sonntag, 27.06.2021, 22:00:00 :: Hochdorf/Stuttgart
Als wir am 24. Juni Naxos mit dem Flieger verließen hatte dies ein schwerwiegenden Grund: Seit Ende letzten Jahres hatten die Schmerzen in meiner Zunge so zugenommen, dass ich den örtlichen HNO-Arzt häufig konsultieren musste, in der Annahme, dass er helfen könnte. Alle seine Diagnosen waren wohl unbegründet, Anzeichen auf Leukoplakie – der Vorstufe für ein Karzinom – waren nicht zu entdecken, eine Beißschiene gegen mechanische Verletzungen und Antibiotika gegen eine Entzündung waren ebenfalls nicht hilfreich.
So entschlossen wir uns, nach Deutschland zu reisen, um dort Klarheit zu bekommen; wie ich jetzt hoffe, nicht zu spät. Eine erste umfangreiche Untersuchung am 6. Juli – unter Narkose mit Biopsie an einer verdächtigen Stelle – brachte zutage, dass es ein Rezidiv gibt, ein Wiederaufkeimen des Karzinoms. Mehr Klarheit wird hoffentlich eine weitere MRT-Aufnahme am 21. Juli erbringen.
Aber ich werde so oder so am 26. Juli unters Messer kommen – mit derzeit unbekanntem Ergebnis: Wird Lasern der fraglichen Stelle ausreichen oder wird ein Hautlappen von der Innenseite meines Unterarms dafür herhalten müssen, den fehlenden Zungenteil zu ersetzten beziehungsweise die Wunde zu überdecken? Auch die Ärzte wissen es derzeit nicht, das entscheidet sich wohl erst nach der oben erwähnten MRT-Kontrolle oder gar erst während des Eingriffs. Dieser beinhaltet ausserdem eine weitere Kontrolle des Rachenraums bis in die erste Gabelung der Bronchien hinab um sicher zu gehen, dass da nicht doch noch mehr ist.
Es ist schon eine Ironie des Schicksals, dass nun, exakt 18 Jahre nachdem man mir hier im Marienhospital das Karzinom am anderen Ende des Verdauungstraktes entfernt hat, nun das im Mund an der Reihe ist. Nach dem 26. Juli wird es hoffentlich erfreulichere oder zumindest erleichternde Nachrichten geben.
Nachtrag, Sonntag, 29.08.2021, 20:31:44 :: Stuttgart
Über Krankheit, überhaupt über Krebs, schreibt man nicht? Dazu ein paar Gedanken:
Links:
- Vom narzisstischen Schreiben gegen den Tod, ein Artikel mit vielen weiteren Hinweisen zum Thema, die ihre Bedeutung nicht verloren haben
- Jürgen Leinemann: Das Leben ist der Ernsfall »Das Urteil lautet Zungengrundkrebs. Für einen der profiliertesten politischen Journalisten, einen engagierten Zuhörer und Frager, bedeutet es das Ende seines beruflichen Lebens. „Ich sah mich als einen der Menschen, die durch Wörter zu dem werden, was sie sind. Nicht nur Schreiben, auch Reden war mein Beruf. Und jetzt war ich stumm.“ „Die unverändert gespürte tödliche Bedrohung durch den Krebs, meine körperliche Schwäche und meine seelischen Tiefs sind die Wirklichkeit, durch die ich mich durchkämpfen muss. Ich darf mich um die Wahrheiten der Krankheit nicht herumdrücken, aber ich darf mich von ihnen auch nicht unterkriegen lassen. Zwei Sätze sind für mich als Leitlinien bestimmend geworden. Der erste heißt: Wirklichkeit ist alles, wo man durchmuss. Der zweite ist eine Gedichtzeile von Peter Rühmkorf: ‚Bleib erschütterbar und widersteh.‘ Beide Sätze sind, da die Krankheit den Journalismus als Lebensschule abgelöst hat, für mich von existenzieller Bedeutung. Ich muss mit der breiten Grauzone der Unberechenbarkeit leben, wenn ich leben will. Und das will ich, das ist mir inzwischen ganz klar.“«
- Der Krebs kehrt zurück (2)
- Der Krebs kehrt zurück (3)