Dienstag, 10. August 2021 :: Stuttgart
Kurzfassung
Heute vor genau zwei Wochen bin ich hier zur siebten Operation meiner Zunge eingerückt. Mit der achten Operation haben sie noch am selben Tag vor Mitternacht bis hinein in den Folgetag begonnen. Ich befinde mich mit viel Schmerzmittel auf einem recht guten Weg der Besserung. Aber es ist noch lange nicht zu Ende.
Aber der Reihe nach.
Langfassung
Vorbemerkung: Niemand muss jetzt noch weiterlesen …
Die Operation verlief für mich zunächst glimpflicher als ich befürchtet hatte. Kein Luftröhrenschnitt, keine künstliche Beatmung nach dem Erwachen. Aber dafür eine Menge Blut und noch mehr Schmerzen.
Blut …
Die anhaltende Blutung wurde nach mehreren Versuchen mit blutstillenden Kompressen durch einen weiteren Eingriff – erneut unter Narkose – erfolgreich beseitigt. Allerdings mit (subjektiv?) erheblicher Verzögerung: Anästhesist und Operateur waren anderweitig zugange und unabkömmlich. Daher sass ich im Operationsraum ohne Rückenstütze auf dem Operation-Tisch, um mich herum plauderten Anästesieschwestern und OP-Assistentinnen ua. munter darüber, was bei mir am Morgen alles nicht so geklappt hatte – ein Gräuel für mich. Wir warteten also gemeinsam. Und warteten. Irgendwann kam ein Engel auf die Idee, sich gegen meinen Rücken zu lehnen, was uns beiden eine stabile Lage ermöglichte und zumindest mich und meine Wirbelsäule enorm entlastete. Schließlich ging’s dann irgendwann los.
Beim Aufwachen waren die Schmerzen weiter da, die Blutung schien aber besiegt. Nur die Blase … Im Aufwachraum gibt es keine Toilette, nur diese wundervollen Flaschen, denen sich mein Körper seit jeher verschließt. Also wieder warten – mit Schmerzen oben und unten.
Schlucken und Sprechen waren in den ersten Tagen unmöglich, zudem extrem schmerzhaft, sodass mein Körpergewicht täglich sank, eine anderweitige Ernährung also anstand, wobei ich eine Magensonde ablehnte und mich mit den Schmerzen beim Schlucken abfand, besonders, nachdem Lis mit selbst gemachten Suppen und Joghurt segensreiche Ideen entwickelte. Denn die hauseigene Flüssignahrung brachte ich ums Verrecken nicht hinunter. Erst später erfuhr ich, dass es längere Zeit benötigt, einen Patienten mit Schmerzmitteln so zu tarieren, dass er im Wesentlichen schmerzfrei ist.
… und Tränen
Quälende Tage folgten, mein Mut und meine Kraft waren auf dem Tiefpunkt, andauernd mussten neue Venenzugänge gelegt werden, die mehrfach erst im zweiten, dritten, ja vierten Anlauf gelangen, irgendwann gar nicht mehr: Meine Venen sind so kaputt, dass nur noch ein spezieller Venenkatheder, eine sogenannter PICC-Line half – wieder ein Eingriff, diesmal mit lokaler Betäubung und unter Röntgenkontrolle, denn die Kanüle reicht von oberhalb der Armbeuge bis kurz vor die rechte Vorkammer.
Hilfe …
… kam von allen Seiten. Die Schmerzen bekamen wir gemeinsam durch ständige Anpassung der Schmerzmittel, einschliesslich Fentanylpflaster (enthält eine Opium-analoge Substanz, die langsam über Tage abgegeben wird), in den Griff, die Logopädin wirkte durch ihr bestimmendes Einwirken und der nicht ausgesprochene „Drohung“ mit der Magensonde dafür, dass ich das Schlucken lernte und nicht zuletzt die Psychoonkologin konnte mich nach Tagen der Instabilität und der Schmerzfreiheit davon überzeugen, dass es in meinem Krankenzimmer mit diesem schönen Ausblick auf Karlshöhe und Hasenberg angenehmer ist als auf der Überwachungsstation.
Wie weiter? Der Plan, …
Ja, das weiss ich auch nicht. Sicher werden weitere Operationen kommen, um den Sicherheitsrand auf 5 mm zu erweitern sowie die Abdeckung und teilweise Rekonstruktion der Zunge durch einen Hautlappen aus der Unterarminnenseite, deren Anschluss an die Gefäße im Hals, die Ausbesserung des Unterarms durch ein Stück aus dem Oberschenkel („wie eine Schürfwunde, heilt schnell“). Ja, und eine weitere *Neck Dissection*, die Entfernung der herdnahen Lymphknoten beidseitig hierbei oder später steht dann auch noch an. Das wär‘s dann? Mit Mund und Hals soweit ja.
Ach ja: Im Nachgang, zur Erleichterung der Atmung in den ersten Tagen, eventuell noch ein Luftröhrenschnitt. Das war‘s aber dann wohl wirklich.
… die Alternativen …
So. Nun zur Alternative: nochmalige Bestrahlung. Des könnte mit möglicherweise alles obige ersparen, kostet mich aber wohl meine kläglichen restlichen Zähne.
Heute wurde mir mitgeteilt, dass diese Option nicht mehr gangbar ist. Die Dosis von 50 Gy, die ich 2014 während der Bestrahlung in Erlangen erhalten hatte, lässt das nicht mehr zu.
Und dann bleibt als letzte Option das Nichtstun, alles so zu belassen und ausheilen lassen wie es jetzt ist. Das will sehr wohl bedacht sein in höherem Alter.
Es sind einfache Fragen, auf die es eben nur Antworten gibt, die auf Erfahrungen anderer und auf Wahrscheinlichkeiten fussen.
Aber eine Entscheidung muss ich fällen.
… und weitere Baustellen
Eine weitere Baustelle tat sich nach der Verabreichnung eines Einlaufes auf: Es blutete, die Teile über die auch im Alter wenig gesprochen wird, waren wohl angerissen worden. Fazit des Proktologen: mindestens drei müssen raus.
Fazit
Und alles ist natürlich bzgl. der Prognose offen. Die meiste Energie und den stärksten Willen brauchen wir wohl doch erst im Alter. Wie gut, dass wir in jungen Jahren davon überzeugt und der Meinung sind, wir gäben jeweils alles.
Und außerdem wird mich Naxos dieses Jahr nicht wiedersehen. Denn eine REHA wird sich in allen Fällen anschließen, möglichst in der Kurklinik Aulendorf. Sie war zu MTS-Zeiten unser Kunde. Nun hat sich das Blatt gewendet …
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