Der Jahresbrief 2021

Freitag, 24.12.2021, 19:19:32 :: Naxos
Samstag, 25.12.2021, 16:43:03 :: Update


Liebe Freunde und Verwandte,

Entgegen der bisherigen Gepflogenheit schreibe ich, Reinard, den diesjährigen Jahresbericht. Den Grund gibt’s dann später, im Dezember …

Januar

Ja, womit fängt das Jahr im Januar an?

Zunächst seht schnell mit dem Tod eines weiteren Klassenkameraden aus Wilhelmsdorfer Internatszeiten. Das wiegt mehrfach: Im Internat lebt man jahrelang dicht zusammen und in den letzten Jahre haben wir uns immer wieder im Frühjahr bei Klassentreffen wiedergesehen. Aber wir wissen es alle: Es wird immer enger …

Aber auch mit schönem Wetter beginnt das Jahr, für Lis mit der Verarbeitung der Verpackung der Ferreroküsschen zu zwei neuen Bildern und mit – Corona, natürlich: Mit dem Peak der zweiten Welle Mitte Januar in Deutschland. In Griechenland ist das Maximum bereits überschritten, die Zahlen sinken kräftig.

Deutschland befindet sich im Höhepunkt und kurz darauf im Abklang der zweiten Welle, nicht ahnend, was noch kommen wird, obwohl uns Christian Drosten eindringlich warnt; aber wer will das schon wissen, nach einem Jahr mit Lockdowns …

Griechenland hat die 2. Welle gerade hinter sich, steigt aber ab Mitte Januar in die zweite und es erfolgt ein weiterer verschärfter Lockdown.

Wir nutzen die Segnungen der mittlerweile in grosser Zahl verfügbaren Internetkonferenz-Software und chatten innerhalb der Familie und mit Freunden.

In Großbritannien entscheidet ein Gericht, dass Julian Assange nicht an die USA ausgeliefert werden darf. Aber da war das letzte Wort noch nicht gesprochen, wie wir heute wissen.

Die grosse Feier an Epiphani in Moutsouna findet ohne uns statt und in den USA stürmen Demonstranten das Kapitol, in der Hoffnung, ihrem Idol Trump doch noch den Wahlsieg zu erkämpfen.

Und wir gehen mitten im Januar im Meer schwimmen. Es ist kalt, aber gut zu ertragen. Jedenfalls hebt es die Stimmung.

Wenn da diese immer stärker werdenden Schmerzen an meiner Zunge nicht wären. Der hiesige HNO-Arzt tippt zunächst auf eine Entzündung, die mit einem Antibiotikum zu erschlagen sei – aber dem ist nicht so, wie sich im Laufe des Sommers zeigen wird. Lis quält sich mit Schmerzen in Bein und Becken, die sie mit Tabletten und Physiotherapie zu bekämpfen sucht – ich könnte so weiter machen, Ihr merkt, es ist uns nicht langweilig; nicht mal die Katze ist symtomfrei und muss zum Arzt.

Gegen Ende des Monats öffnen die Geschäfte wieder, nicht aber Cafés und Restaurants. Die dritte Welle steigt. Wir bleiben zuhause. Strandspaziergänge sind aber drin, ohne Maske.

Ansonsten: Zaghafte erste Besuche bei Freunden und häufiger Griff in mein Spielfilmarchiv, das mittlerweile auf über dreihundert Filme angewachsen ist.

Februar

Lis’ Geburtstag findet „im allerengsten Familienkreis“ und im Internet statt, der traditionelle naxische Fasching fällt aus und im März kommt die dritte Welle.

Ärzte und Laborwerte ändern an meinen Schmerzen an der Zunge nichts. Wir bemühen uns um Impftermine, eine never ending story, aber wir erhalten sie letztendlich. Sie gehen alle klar, der letzte bei mir Ende Juni.

März

Ende März wird der erste Covid-19-Fall in Galanado gemeldet, der Nachbar des Erstinfizierten stirbt an der Krankheit. In der Nachbargemeinde hat sich nach einer illegalen Wallfahrt das halbe Dorf infiziert …

Astrid aus Azalas hält wöchentliche Vorträge über Naxos via Zoom, die allen Fern und Nah neue Erkenntnisse über unsere Insel, ihre Kultur und Natur bringt.

Zusammen mit Sofia planen wir eine Webseite für Axiotissa. Wird aber leider nicht fertig. Immer diese Krankheiten, zusätzlich zu Covid-19, überall …

Auch der griechische Nationalfeiertag am 25. März, ausgerechnet der 200., findet nur mit gebremstem Schaum statt.

Da zieht mir am letzten Märztage unverhofft ein scharfer Schmerz ins Kreuz. Iliosakralgelenk und Bandscheibe meint die Orthopädin und lässt sich das durch ein MRT bestätigen. Übrigens die einzige Ärztin, die mich über das griechische Gesundheitssystem und damit die Europäische Gesundheitskarte meiner deutschen Krankenkasse abrechnet. Kein anderer Arzt außer dem Krankenhaus tut das hier …

Und auch der Warmwasserbereiter auf dem Dach geht kaputt. Den kann man aber austauschen, im Gegensatz zu Zunge und Wirbelsäule.

Meine Schulfreundin aus Hohenheimer Zeiten, mit der wir engen Kontakt habe, trauert um das Ableben ihres Mannes. Ohne Corona aber natürlich ein harter Schnitt.

April

Ich bewege mich nur fast rechtwinklig gekrümmt wie ein krumm geschlagener Nagel und unter Schmerzen, die auch durch Übungen und häufige Physiotherapie nicht wirklich verschwinden wollen. Das bleibt im Wesentlichen so bis zum Sommer in Deutschland.

Lis lässt aus purer Neugier einen Schnelltest im Hospital machen. Der ist natürlich negativ. In Deutschland und bald auch hier beginnen die Impfungen. Der Theologe und Kirchenkritiker Hans Küng stirbt mit 93 Jahren.

In Deutschland geht die Diskussion um die Kanzlerkandidatur in der CDU. Die Entscheidung beschert uns dann im September die Ampelregierung. Ansonsten tobt der absurde Kampf der Massnahmen- und Impfverweigerer.

Amerika hat einen neuen, diesmal demokratischen Präsidenten Joe Biden. Der spricht endlich vom Völkermord an den Armeniern, was längst überfällig war aber den Präsidenten der Türkei kurz in Wallung versetzt. Wie das bei diversen Anlässen immer mal wieder geschieht.

In Russland werden alle Nawalny-Organisationen verboten, nachdem er selbst im Straflager und der vermutete Vergiftungsfall aus den Zeitungen verschwunden ist.

Die Meldepflicht per SMS, wenn man das Haus verlässt, endet in Griechenland, es wird warm, Zeit um morgens schwimmen zu gehen.

Und am 30. April ist Karfreitag in Griechenland. Ostern, das höchste Kirchenfest der Griechen, wird aber wieder eher verhalten gefeiert.

Mai

Trotzdem ist es voll auf Naxos zum Osterfest. Wir halten uns abseits und gehen jeden Morgen schwimmen. Eine Hitzewelle trifft uns kurz.

Und nicht zu vergessen: Es ist Erdbeerzeit und daher gibt es jeden Nachmittag Erdbeeren mit Eis – über Wochen!

Am 3. Mai öffnet das Kitron, alle die uns je besucht haben wissen, was das bedeutet.

Unsere Freundin Heide landet auf Naxos, ein Hauch von Normalität verbreitet sich. Das feiern wir bei Waffeln, Erdbeeren und Eis.

Endlich gibt es mal Infektionszahlen von Naxos. Nachdem man immer nur was von Hörensagen vernommen hat: Die Inzidenz im April lag immerhin über 50. Wir erfahren von immer mehr Infizierten, Impfen ist nicht so der Hit, vor allem auf den Dörfern und dort landen sehr viele Besucher vom Festland bei ihren Verwandten …

Und ältere Verwandte unserer Freundin landen auf der Intensivstation, beraten von den eigenen Kindern, sich nicht impfen zu lassen; aber sie überlebt.

In Deutschland entspannt sich die Lage in den Krankenhäusern. Nachdem eine RundEuropa-Tour sich ja schon früh abermals erledigt hatte, meine Schmerzen an der Zunge weiter zu- statt abnehmen und der Arzt mit sehr bedenklichem Blick zur Reise nach Deutschland rät, planen wir nun einen Flug nach Deutschland, es geht so nicht weiter.

Dennoch treffen wir wieder Freunde, zum Beispiel Werner und seine Frau in Mikri Vigla.

Erfreulich: Mein Kaktus, Disocactus ackermannii – Roter Orchideenkaktus, der mich seit meiner frühen Kindheit begleitet, explodiert geradezu. Das gibt mir Mut, denn wenn er sterben würde …

Mitte Mai eröffnet Manolo am Strand von Agios Georgios. Nun können wir nach dem Bad im Meer auch am Strand frühstücken.

Wir feiern in Potamia den Geburtstag von Sherri mit Bienenstich und erwerben dieses herrliche Tulpenbild, das seither unser Wohnzimmer schmückt.

Schon am Tag darauf gedenken wir bei Heide und abends im Faros zusammen mit weiteren Freunden des 90. Geburtstags von Franz, der leider nicht mehr unter uns weilt.

Lis bekommt ihren ersten Impftermin am 21. Mai, alles verläuft ohne Probleme. Zweiter Termin dann am 11. Juni. Ich warte immer noch, aber irgendwann klappt es dann; mein zweiter Termin wird dann am 24. Juni sein. Vorher können wir sinnvollerweise nicht fliegen.

Aus dem fernen Stockholm bekommen wir Nachrichten unserer litauischen Freundin und ihrer Tochter. Ich werde wieder daran erinnert, wie schnell die Zeit vergeht: Ugne kenne ich in Windeln …

Wieder toben in Griechenland und anderswo gewaltige Waldbrände und erinnern uns daran, dass wir endlich handeln müssen.

Wut, Traurigkeit, Trauer um diesen dunklen Tag für das Land.

Der Wald brennt, die Tiere, die Menschen ertrinken … Lasst uns keine INVESTITIONEN in die verbrannte Erde zulassen!

Immer bleibt der berechtigte Verdacht zurück, dass Brände in Griechenland der illegalen Vorbereitung für Bauinvestitionen dienen.

In Minks landet unter misterösen Umständen ein Flugzeug mit belorussischen Oppositionellen, die auch prompt festgesetzt werden.

Nochmal sitzen wir zusammen mit Heide und Sherri, die die Hängung ihres Bildes „überprüft“; mittlerweile sind auch Lis’ Ferrero-Bilder gerahmt. Ich überprüfe derweil Sherris verstruppelten MacBook …

Und tataaah! in bekomme meinen ersten Impftermin …

Juni

… am 1. Juni!

Es ging wie bei Lis ruckzuck, ohne Warteschlange und Nachwirkungen.

In Deutschland wird wegen Corona gestritten, in Sachsen-Anhalt sind Landtagswahlen, da ist das natürlich ein heisses Thema.

Wir schwimmen hingegen bei morgendlichen 22°C und mehr im Meer, frühstücken häufig „Schbiegeleí“ bei Manolo.

Meist sind wir die Einzigen am Strand. Endlich öffnet auch die Rotonda oben in Apiranthos …

… und ein Abendessen in Moutsouna darf natürlich auch nicht fehlen. Viele Besucher treffen sich dort, viele Umarmungen – irgendwoher müssen die Infektionen das kommen.

Der letzte Befreier des KZ Auschwitz geht von dieser Erde, Anlass für teils fürchterliche Kommentare von rechts in Facebook. Ich merke, dass Deutschland seine Vergangenheit wohl langsam vergisst und die Nachgeborenen damit meinen, abschliessen zu dürfen.

Lis bekommt ihren zweiten „Schuss“ und Heide eine neue Tischplatte für ihren Paradesitzplatz, frisch von uns beauftragt und abgeholt im Marmorwerk hier unten in Galanado.

Wir sind mittlerweile beide mit einer Apple Watch ausgestattet, nicht zuletzt, weil sie uns ein Stück Sicherheit bringt – und Komfort, den man erst mit der Zeit erkennt, wie so häufig bei technischen Neuerungen, die man zunächst geneigt ist, abzulehnen weil man sie nicht kennt.

Manolo ist auch Abend Treffpunkt, diesmal mit Maria und Ioanna. Essen macht mir immer mehr Mühe, es wird Zeit, dass wir nach Deutschland kommen. Aber ich muss meine zweite Impfung abwarten, mittlerweile ist klar, sie kommt am 22. Juni, wir buchen die Flüge, am 24. geht’s los.

In Israel wird erfolgreich geimpft und die Netanyahu-Ära geht zu Ende. Mittlerweile habe ich Kontakt zu meinem Kasseler Operateur von 2013 aufgenommen. Ich muss entscheiden, wohin ich mich wende mit der Zunge.

Wir entscheiden uns für das Marienhospital in Stuttgart, nicht zuletzt, weil durch den Wegzug meines Bruders aus Kassel wir dort keine Unterkunft mehr hätten, sollte es zur Operation kommen.

Aber soweit ist es ja noch nicht. Wir besuchen Heli und treffen so auch Daniel bei Andreas in Kouronochori.

Am 17. Juni feiern wir mit einigen Freunden Claudias Geburtstag in Agia Anna bis nach Mitternacht, was die Polizei nicht so gerne mag – es gilt ja noch die Corona-Sperrstunde – und uns nachhause schickt …

In Deutschland liegt die Inzidenz mittlerweile bei 7. Lissabon wird wegen hoher Indien abgeriegelt und die USA führen einen nationalen Gedenktag gegen Sklaverei ein.

Die Verbindung in alle Welt reisst unterdessen nicht ab: Wir halten Familientratsch via Messenger.

Auch auf Naxos brennt es: In Angidia und in Tripodes quält es mächtig, die Löschflugzeuge und die Feuerwehr sind aber relativ schnell erfolgreich.

Manolo hat Glück: Das Feuer wurde ca. 10 Meter vor seinem Haus gestoppt.

Mittsommer findet im Meer und am Abendessentisch am Strand statt. Der Geruch des Feuers liegt noch immer in der Luft. Ach ja: 2012 waren wir an diesem Tag in Nordnorwegen in der Nähe von Tromsö (das Bild ist von 23 Uhr) …

Ich erhalte meine zweite Impfung und zwei Tage später starten wir nach Deutschland. Seit diesem Tag ist man in Griechenland draussen maskenfrei.

Der Flug ist teilweise chaotisch, aber wir werden durch unsere treue Freundin Brigitte in Empfang genommen und sicher nach Hochdorf gebracht. Meine Schmerzen sind heftig, wohl auch wegen der Druckunterschiede.

Um es hier kurz zu machen: Lis kümmert sich nun um Arzttermine, holt eine Krankenhauseinweisung, ich konsultiere meinen HNO-Arzt, dessen Diagnose deutlich daneben liegt; das erfahre ich aber erst bei der Voruntersuchung Krankenhaus. Biopsie unter Narkose und warten auf das Ergebnis – all das habe ich ja bereits geschildert.

Unser erster Besuch bei Elke und Bernd führt auch endlich Verwandte zusammen, die sich seit früher Kindheit kennen, sich aber dennoch fast den Rest des Lebens nicht wieder begegnet sind. Es ist traurig aber umso schöner, dass es dann doch geklappt hat.

Wir sind sehr dankbar, dass wir bei Bernd und Elke bis zu unserer Rückreise das Obergeschoss beziehen dürfen, nachdem klar ist, dass mindestens ein weiterer Eingriff notwendig wird und sich das alles durch den August bis mindestens in den September hinziehen wird. Unser „Möbellager“ in Hochdorf wäre uns in dieser langen Zeit auf den Kopf gefallen.

So darf ich neben den Aufenthalten im Marienhospital die Tage auf dieser herrlichen Terrasse verbringen, am See spazieren gehen und mich erholen.

Ich fotografiere mich durch die Blüten- und Insektenpracht des Gartens.

Hier steht auch die tolle Plastik von Nikos Voulgaris aus Naxos, die wir vor vielen Jahren mit nach Deutschland gebracht haben und deren Haarschopf jetzt hier regelmässig gepflegt wird indem er uns das Essen würzt.

Mein Geburtstag verläuft ohne grosse Feier. Ich habe mir einen neuen Mac mini geschenkt, der auf Anhieb fantastisch schnell läuft.

Und dann die grosse Flutkatastrophe im Westen der Republik und in Oberbayern, sehr viele Tote und ungeheure Schäden; und die grosse Frage, weshalb auch hier wieder staatliches Versagen festzustellen ist …

Besuch trifft häufig ein, Sebastian kommt vorbei, Michael und Martina.

Dann die schlechte Nachricht: Mein Bruder hat nach der Herzoperation am 20. Juli einen Schlaganfall erlitten. Es ist sehr kritisch. Aber er kommt durch. Wenige Tage danach, am 26. Juli, komme ich unters Messer, nachdem ich mich bis dahin mit Novalgin und einem Opiat leidlich über Wasser gehalten habe. Alles nicht einfach …

Am Morgen bei der Abfahrt zum Marienhospital blüht mir dieser herrliche Kaktus – nur einen Tag wohlgemerkt.

Die Tage im Krankenhaus erspare ich Euch. Ich werde sehr gut versorgt, was nicht heisst, dass es mir gut geht.

Es geht nicht nur mit mir sehr langsam bergauf. Auch mein Bruder Uwe erholt sich langsam aber stetig wie ich erfahre. Ich esse und trinke hauptsächlich das, was Lis mir täglich bringt.

August

Unsere Freundin Karin meldet sich aus Naxos. Dieter und sie sind endlich mal wieder dort zum Urlaub und fragen nach einer bestimmten Kirche. Und ich liege im Krankenbett.

Aber nicht nur die beiden. Auch unsere Freundin Rasa aus Litauen möchte endlich nach Naxos kommen. Ich regle die Unterkunft. Aber eben: Wir, die wir sie seit Jahren bekniet haben, doch zu kommen – wir sind nicht da.

So erreichen uns nur ein paar Bilder und begeisterte Nachrichten.

Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, fliegt auch ihre Schwester, unsere Freundin Ieva, im September für ein paar Tage auf die Insel …

Ich hingegen betrachte jeden Tag dieselbe Aussicht auf Heslach und den Hasenberg.

Am 13. August, dem Tag des Berliner Mauerbaus und dem Bombenabwurf über Nagasaki, darf ich nachhause, mit Fentanyl-Pflaster und Novalgin gut versorgt …

… und darf wieder in diesem herrlichen Garten sitzen. Elke und Bernd sind für ein paar Tage verreist, wir sind also „Herr im Haus“.

Lis schafft ein kleines Klassentreffen am Schlossplatz mit ihren Freundinnen. Ansonsten hat sie wohl viel Arbeit mit mir:

Jeden Morgen Rührei, das einzige, was einigermassen glatt zu schlucken geht, alles Essen irgendwie püriert …

Am 18. August werde ich an eine andere Operation erinnert: Vor 31 Jahren lag ich über 8 Stunden wegen dem dreifachen Bypass unterm Messer. Aber es geht schon aufwärts. Wir machen Ausflüge nach Ludwigsburg, ich halte mich wacker auf den Beinen mittlerweile.

Ausserdem kommen viele zu Besuch: Söhne, Enkel, ehemalige Kollegen. Mit ihnen gehen wir essen – natürlich zum Griechen, den wir quasi vor der Türe haben in Weilimdorf.

Das alles ist nur ca. 700 Meter von meinem ehemaligen Kindergarten und 1 Kilometer von meinem ersten erinnerten Wohnsitz in Feuerbach entfernt. Und vielleicht 500 Meter von der Kirche der Griechischen Gemeinde von Stuttgart. Aber das sind eben Zufälle, die sich häufen.

Unsere Freunde Luise und Oskar besuchen wir zweimal und verbringen dort frohe und unterhaltsame Stunden, nicht zuletzt bei hervorragendem Essen. Der Gesprächsstoff geht uns nie aus. Weder jetzt noch später im September.

Auf den morgendlichen Spaziergängen treffen wir wieder auf unseren Freund den Graureiher, wie die Jahre zuvor.

Auf der weltpolitischen Bühne tat sich mittlerweile Ungeheures: Die USA und ihre Getreuen verlassen fluchtartig Afghanistan, hinterlassen ihre afghanischen Helfer den Taliban und ein Riesenchaos. Und das bittere Gefühl einer weiteren unsinnigen 20jährigen „Mission“.

Alexander und Messi Dominik, mein Enkel, kommen zu Besuch, wir machen einen Spaziergang um den See und schaukeln, denn das gibt es auch am See: ein richtig tolle Schaukel.

Abends geht’s mit Sebastian und den beiden natürlich – zum Griechen, Messi ist in seinem Element.

September

Prompt am 1. September kommt der Nebel. Es wird Zeit an die Rückreise zu denken.

Zuvor passiert aber noch einiges!

Mein Bruder Uwe ist mittlerweile in der Reha in Heidelberg und würde sich über einen Besuch freuen. Und wieder greift uns Brigitte mit ihren Fahrdiensten unter die Arme: Eine schöne Fahrt durchs Neckartal ist für uns alle eine Freude. Der Besuch selbst ist kurz, Schnelltest, Maske, lange Gänge in der Klinik. Die Begegnung wichtig, freudig und doch niederdrückend: Nur ich kann reden …

Der letzte Grosse Griechenlands ist dieser Tage gestorben und wird unter grosser Beteiligung auf Kreta beigesetzt. Hier mit dem erst letztes Jahr verstorbenen grossen Naxioten Manolis Glezos: Mikis Theodorakis.

Mit Brigitte sind wir noch im Kunstwerk in Nussdorf, diesem bemerkenswerten Museum mit dem anliegenden Café K, mit seinem unvergleichlichen Speiseeis …

Mein Jugendfreund bis heute, Ulrich, ruft an. Wir sehen uns zu selten, meist aber dann in Litauen, denn er ist mit einer Litauerin aus Kaunas verheiratet. Aber der Kontakt besteht. Vielleicht wieder nächstes Jahr …

Ieva aus Litauen rüstet sich für Naxos, sie meldet sich aus Stockholm, wo sie arbeitet, später dann aus Naxos.

Ihr seht: Es ist dauern etwas los. Zum Beispiel auch der 9. Geburtstag von Messi am 26. September, den wir in Weilimdorf feiern dürfen; ich bereite einen Apple iMac für ihn vor. Es sind noch richtig warme Tage, die letzte Flüge der Schmetterlinge …

Da kommt die Schreckensmeldung von den Kanaren: Ein neuer Vulkan bildet sich, Lava fliesst in Strömen, auch in Richtung auf Todoque, wir wir bis 2013 gewohnt haben. Wenige Tage später ist die Siedlung unter der Lava begraben, eine Wochen später auch das gesamte Grundstück von Elga und Ernst Jürgen, wo wir in der Casita gewohnt haben.

Dieser Vulkan wird 86 Tage speien und grosse Teile des Aridanetals „überschwemmen“ und mit meterhoher Asche bedecken, viele Siedlungen und tausende Häuser verschlucken, Bananenplantagen und damit Existenzen vernichten.

Und am Ende, jetzt nach 90 Tagen (es ist der 23.12., wo ich das schreibe), ist dieser Kegel auf knapp 1200 Meter angewachsen.

Mittlerweile ist klar: Keine weitere Operation, keine Reha. Ich sage alles ab, wir kaufen einen zweiten grossen Koffer und beginnen mit der Planung, was alles mit muss.

Aber noch immer sind wir gefordert: Am 26. September ist grosse Geburtstagsfeier mit Onkel Sebastian, Opa Reinard und Oma Lis. Messi ist ja in der glücklichen Lage, zwei Omas und Opas zu haben neben dem Onkel – Quellen vieler Geschenke.

Zum Abschluss geht’s abends dann gemeinsam zur Pizzaschlacht beim Italiener, wie Paros, das griechische Restaurant, direkt vor der Haustüre.

Damit nicht genug: Am nächsten Morgen schlemmen wir gemeinsam im Ratskellergarten in Ludwigsburg.

Ausserdem ist Bundestagswahl, die wir aber sicherheitshalber bereits per Briefwahl mit entschieden haben. Daher hindert uns nichts, meinen Jugendfreund Wolfgang und seine Frau Birgit im nahegelegenen Portal zu besuchen; wir sehen uns bald darauf wieder beim Klassentreffen in Plieningen (nur nebenbei: ich war in acht verschiedenen Schulen …).

Am Tag darauf wird Todoque von der Lava überrollt, ein Inferno. Hier stürzt der stolze Kirchturm.

All das wird in ein paar Tagen begraben sein.

Ende September finden wir uns endlich zusammen: Mit meinem Schulfreund Dieter aus frühen Kindheitstagen in Murr können wir endlich mal wieder zusammen sitzen und gemeinsam was essen – ich quäle mich tatsächlich mit einer Pizza, ein wirklicher Fortschritt! Dass ich ihn vor einigen Jahren wieder gefunden habe, verdanke ich dem aufrecht erhaltenen Kontakt der Käufer unseres Hauses in Ludwigsburg. Auch so ein Zufall …

Oktober

Noch zwei Wochen bis zum Rückflug nach Griechenland.

Gleich Anfang Oktober machen wir wieder mit Brigitte – mein Schutzengel chauffiert uns wieder – eine Besuchsfahrt nach Hanau, um meinen Bruder Uwe nochmals zu sehen. Er ist seit einiger Zeit wieder zuhause und macht Fortschritte, langsam aber immerhin.

Hier machen wir Pause bei Cappuccino und Eiscreme.

Es ist der 3. Oktober, dieser sogenannte Tag der deutschen Einheit. Die Parteien sondieren, die Pandora Papers werden veröffentlich, nach denen – Überraschung! – zahlreiche Minister/innen sowie Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt ihr Geld in Steueroasen verstecken.

Letzter Besuch von Michael und Martina. Auf La Palma fliesst die Lava schon seit Tagen ins Meer. Niemand ahnt, was noch kommen wird. Und in Stockholm werden die Nobelpreise für Chemie und Physik vergeben, letzter an Klimamodellierer.

Ein letzter überraschender Besuch kommt mit der Eisenbahn von weit her, aus Münster: Doro und Irini, die Tochter von Astrid aus Azalas hier auf Naxos besichtigen Stuttgart und wir treffen uns zum ausgiebigen Brunch dort am nächsten Morgen am Wilhelmsplatz in der Altstadt. Als wir uns verabschiedet haben stellen wir betroffen fest, dass wir kein Foto aufgenommen haben. So bleibt nur diese Erinnerung

Letzte Besuche: Ingbert, unser Freund aus Azalas kommt auf der Fahrt nach Norden zu seinem Bruder vorbei, am selben Nachmittag besuchen uns Armin und Marita aus der Wuzelei, wir suchen ein letztes Mal Luise und Oskar heim und Enkel Janis schaut vorbei …

… und Grüsse der Schwestern Ieva und Rasa, mittlerweile ja längst aus Naxos zurück in Vilnius, erreichen uns mit Ievas Enkeltochter.

Ja, und dann fliegen wir, mit zwei grossen Koffern, die in der Gewichtssumme zwar stimmen, nicht aber das Einzelgewicht des einen und allerhand Handgepäck. Kostet dann nochmals einen saftigen Zuschlag. Zwischenhalt jeweils in Thessaloniki und Athen …

… aber dann sind wir am Abend in Naxos. Das Gepäck ist vollständig, die Maske kann ab. Detlef holt uns vom Flughafen ab …

… und wir sind zuhause.

Die Touristensaison muss unbeschreiblich gewesen sein, die letzten Reste bekommen wir noch mit: Wir finden keinen Parkplatz – nur am Strand. Dort ist noch richtig Badewetter und wir geniessen es.

Währenddessen wird La Palma weiter von mehr als haushohen Lavaströmen überflutet.

Ansonsten kehrt das normale Leben wieder ein. Die Katzen sind alle wieder da und munter, bei Popi können wir einige male sitzen und essen. Mittlerweile darf sie nicht mehr öffnen, da sie vor lauter Angst umgeimpft ist.

Wir ernten die letzten Feigen bei Dafni und Dieter im Garten. Ich mache meine Arzttermine, damit die einen aktuellen Status haben; es scheint alles ok.

Bis Ende Oktober schwimmen wir und geniessen den letzten Abend bei Manolo.

Helis Lesung aus ihrem neuen Buch Ein unsichtbares Band – genannt Familie findet im wundervoll renovierten Pirgos bei Kouronochori statt.

Und tags darauf feiern wird Heides Geburtstag im kleinen Kreis im Su e Giu …

Die vierte Welle startet, ebenso die Koalitionsverhandlungen der Ampelparteien. Windows XP wird 20 Jahre alt, wenn das noch jemandem was sagt und der OXI-Tag findet zum ersten mal ohne uns statt; wir hatten schon am Vortag den übenden Musikern im Café gelauscht.

Dafür feiern wir am Abend mit Ioanna und Maria im Barrabas am wie üblich völlig überladenen Tisch.

Am 29. Oktober reissen uns die Bauarbeiter von gegenüber aus dem morgendlichen Dämmerschlaf. Sie bauen wieder, den elektrischen Strom für ihre Bohrmeißel ziehen sie aus der Dose von Popis Waschmaschine. Diesmal ist das komplette Dach dran, an den Folgetagen wird der Betonmischer seinen Höllenlärm verbreiten.

Unser erster grösserer Ausflug gilt dem Wasserspeicher bei

Engares und dem Staudamm von Skeponi. Denn in der Chora läuft schon seit dem Sommer die Meerwasserentsalzungsanlage (schönes Wort). Wir vermuten, dass alles leer ist – und so ist es auch. Alle warten auf Regen.

November

Eine Woche ohne Auto. Mario von unserer Werkstatt meint, da müsse er einige Ersatzteile bestellen, mit dem normalen Ölwechsel sei es diesmal nicht getan. Es wird richtig teuer. Aber hinterher brummt das Senfle wieder.

Auf La Palma ist noch immer der Teufel los, mittlerweile sind weitere Siedlungen von der Lava begraben, der Rest unter meterhohem Staub und Sand, trotz der Schrecken setzt Sensationstourismus ein …

… und in Deutschland und anderswo (auch in Griechenland!) steigt die nächste Welle. Die Auseinandersetzung über Booster, Impfverweigerung und die gesellschaftlichen Konsequenzen werden schärfer und immer sichtbarer – wer spaltet? Und was tun? Da ahnen wir noch nichts von Omikron und vierter und/oder fünfter Welle …

Die Menschheit lernt nichts dazu. Die USA warnen mittlerweile vor der Reise nach Deutschland.

Wir erleben die letzten Badetage, morgens Nebel über dem Meer und wird besuchen Claudia und Detlef.

Dirk und Kornelia besuchen uns zu Nachmittagskaffee und Waffeln. Gegenüber wird endlich die Decke betoniert.

Bei Maria lernen wir eine der letzten Touristinnen kennen, Renée aus Oregon, USA. Sie ist so begeistert von Naxos, dass sie ernsthaft darüber nachdenkt, sie hier ein Haus zu kaufen. Können wir nachvollziehen …

Bei Gras bei Yalomorfon trinken wir immer gern wieder einen Kaffe, unterhalten uns radebrechend in Englisch und Griechisch, spielen mit den vielen Katzenbabies und ziehen schliesslich mit Geschenken und Glassachen zum eigenen Gebrauch wieder ab.

Nach einer Inselrundreise feiert Renée mit uns ihren Geburtstag im Sto Ladoxarto, wieder mit einem griechisch gedeckten Tisch …

Die Klimakonferenz in Glasgow bringt keinen Durchbruch, was zwar enttäuscht aber zu erwarten war. Die Menschheit will nicht; jedenfalls die Verantwortlichen.

Unser letzter Besuch bei Heide in Mikri Vigla beschert uns einen Bilderbuch-Sonnenuntergang.

Azalas ist auch endlich auf dem Programm, wir fahren zusammen mit Dieter und treffen Astrid, Nikos und natürlich Ingbert, der mittlerweile wieder aus Deutschland zurück ist.

Auch Irmi und Ralph sind zu Besuch bei Kaffee und Käsekuchen, bevor sie sich ins winterliche Deutschland verabschieden.

Am 17. November wird auf La Palma die Casita, das Hauptgebäude und das gesamte Grundstück ein paar Tage später unter der Lava begraben, der Lavastrom ist mittlerweile dort mehr als haushoch.

Lis macht Käsespätzle, Heide und Heli geniessen nicht nur die sondern auch die ausführliche Unterhaltung und zum Abschluss besonders den Spielfilm Grassgeflüster. In wenigen Tagen fliegen beide zurück nach Deutschland.

Wir machen tatsächlich und endlich mal wieder einen Morgenspaziergang durch Galanado und wundern uns, was sich so alles verändert hat.

Nochmal grosser „Rentnertreff“ im Kitron: Heide, Senta, Nikos und wir, später noch Heli, die dann von Tochter Kati und Alex abgeholt wird.

Wir müssen mittlerweile doch wohl etwas heizen. Da fällt der Elektroofen aus, der Drehschalter ist defekt, im Dezember 2014 gekauft. Aber EXPERT hat Ersatz – unglaublich, diese Griechen …

In Deutschland werden die ersten Ministerposten bekannt gegeben, es wird wohl was mit der Ampel und bei uns hier beginnen die Kinoabende: Dieter kommt zu Besuch und wird schauen Der Leopard mit Burt Lancaster, diese grandiose Siziliensaga.

Und da ist sie, Ende November: Die Omikronvariante taucht in Südafrika auf. Bis heute weiss keiner so recht, wie und was.

Der 1. Advent grüsst mit Sonnenschein und verabschiedet sich mit einem furiosen Sonnenuntergang während eines Strandspaziergangs.

Lis und kurz darauf auch ich bekommen unsere Boostertermine für den 8. Dezember.

Dezember

Am ersten Dezember besuchen wir Trixi und Titos in Agia Anna und bestauen ausgiebig ihr neues Haus, das dieses Jahr fertig geworden ist.

In Deutschland verabschiedet die Bundeswehr Angela Merkel mit einem Grossen Zapfenstreich und muss dabei Nina Hagens Du hast den Farbfilm vergessen spielen, immerhin eine Novität, die sich die Ex-Kanzlerin da hat einfallen lassen.

Auf La Palma werde sie langsam richtig nervös, der Vulkan will nicht aufhören. Selbst die Kinder beginnen, sich damit auseinander zu setzen.

Der richtige Regen kommt dann doch auf Naxos, danach dürfen die Bauern ihren Feldabfall verbrennen, die Luft ist voller Qualm.

In Österreich fallen reihenweise Politiker aus dem Amt, Korruption scheint eine Hauptbeschäftigung dort zu sein, erst der Regierungschef, dann eine Reihe Minister.

Mit Maria schmausen wir im Boulamatsis, dem ehemaligen Bluehouse, damals bevorzugt bevölkert von Fischern. Ich verdrücke ein Riesenstück hervorragend zubereiteter Leber, Spezialität dort seit eh und je. Das Kitron bekommt eine echte Weihnachtsfichte, was es ja auf Naxos nicht gibt.

Beim Besuch in Glinado bei Dirk und Kornelia bekommen wir leckeren Zwiebelkuchen zum Kaffee serviert. Und dann kommt auch schon Wolfgang, Lis’ Bruder, mit Verzögerung zwar, weil die Fähren wieder ein paar Tage streiken.

Und dann passiert das: Beim Gang vom Café zum Auto stolpert Lis, fällt und knallt mit der Stirn gegen eine Metallstrebe der Restaurantzelte. Platzwunde auf der Augenbraue, viel Blut, Hospital, Naht. Und ein Riesenschreck, natürlich. Aber sie hat grosses Glück, ausser der Platzwunde scheint nichts weiter passiert zu sein. Nun eben alles paar Tage zum Verbandwechsel, nach Weihnachten werden die Fäden gezogen …

Mit Wolfgang besteige ich endlich mal wieder den Tempelberg …

… ja – und dann ist Weinachten. Die Grüsse und guten Wünsche gehen hin und her, quer über den Erdball, so auch aus Kanada von April, die wir vor eigen Jahren hier kenngelernt haben.

Wir wünschen Euch allen ruhige, gesunde und besinnliche Feiertage und ein gutes und friedvolles Jahr 2022, in dem wir hoffentlich auch das Virus in den Griff bekommen.

Der Vulkan auf La Palma scheint zum Fest tatsächlich seinen Betrieb eingestellt zu haben. Naxos ist geschmückt und wir essen jetzt dann Kürbiscremesuppe.

Nachtrag

Falls jemand Lust verspürt: Die Jahresbriefe aus den Jahren seit 2006 finden sich hier.